«Du musst keine Angst haben, er beisst nicht»

Auf den Hund gekommen

Will er wirklich nur spielen? Die Erfahrungen der Autorin sind ambivalent. Doch Anti-Phobie-Training half. Und auch die anderen Beiträge zeigen: Sie sind wahrlich keine Monster.

«Er tut nichts, er will nur spielen.» Mit diesem geflügelten Satz machen sich Hundehalterinnen Feinde fürs Leben. Auch die wohl richtige Feststellung «Ein Hund merkt halt, wenn jemand Angst hat» hilft kaum. Egal ob das Tier begeistert oder kampflustig bellend angerannt kommt, der Hundephobikerin bleibt das Herz stehen, der Atem stockt, und der Flucht- oder Totstellreflex setzt ein.

Ums Leben rennen

Früh schon lernte ich sie kennen und fürchten, die Vierbeiner und ih­re Besitzer. Bei uns im Dorf gab es unzählige Bäris, die vor ihrem Bauernhof lagen und taten, als ob sie schliefen. Nur um dann – kaum kam ich in ihre Nähe – aufzuspringen und geräuschvoll ihr Revier zu verteidigen. Vom Haus aus schau­ten die Besitzer ver­ständnis- und tatenlos zu, wie ich um mein Leben rannte. Und aus der Ferne hörte ich sie rufen: «Du musst keine Angst haben, er beisst nicht.»

Jahrzehntelang scheute ich keinen Umweg, wenn ich von Weitem ein Bellen hörte.

Jahrzehntelang scheute ich keinen Umweg, wenn ich von Weitem ein Bellen hörte, und wusste, was zu tun war, damit die Hunde nicht merkten, dass ich Angst hatte: ihnen einfach nicht begegnen. Spaziergänge allein in der Natur? Niemals. Eine Zugfahrt mit Hund im Abteil? Undenkbar. Besuch bei einem Hundenarren? Nur, wenn er seinen Liebling irgendwo einsperrte oder festband. Lösbar, dachte ich.

Doch dann wurde ich Mutter eines Sohnes, der keinen Hund ungestreichelt liess. Man riet mir zu einem Anti-Pho­bie-Training. Der freundliche Psychologe machte gleich zu Beginn klar: Hundephobien seien schwer zu behandeln, da die reale Gefahr, wenn auch in geringem Ausmass, tatsächlich bestehe. Anders als etwa bei einer Spinnen- oder Puppenphobie. Er schlug vor, mich schrittweise meiner Angst zu stellen.

Wirksame Rosskur

Das Gewöhnungsprogramm klappte ganz gut, mein Panikpegel sank nach und nach. Wirklichen Erfolg brachte jedoch die buch­stäbliche «Rosskur», die der Therapeut verordnete. Ich musste meinen Sohn bei einem Pferdetrekking begleiten. Er hoch oben im Sattel, ich führte das Pferd. Wild riss das Tier seinen Kopf hin und her und frass Gras am Wegrand.

Mir wurde klar, dass Hunde keine Monster sind, sondern Tiere, die auf klare Kommandos wie «pfui» oder «stopp» reagieren.

Ich fühlte mich machtlos. Zu allem Übel rannten auch noch ununterbrochen zwei weisse Schäfer­hunde den Tross entlang, bellten und sprangen an mir hoch. Verzweifelt blieb ich stehen, befahl den Hunden, mich sofort in Ruhe zu lassen, und forderte Hilfe fürs Pferde­führen an. Das war der Wendepunkt. Mir wurde klar, dass Hunde keine Monster sind, sondern Tiere, die auf klare Kommandos wie «pfui» oder «stopp» reagieren.

So süss

Diese Erfahrung zeigte Wirkung. Von da an sah ich plötzlich freundliche Hundeaugen, knuddelige beste Freunde, treue Begleiter fürs Leben. Ich schätze es nach wie vor, wenn Spaziergänger ihren Hund zu sich rufen, bevor man sich kreuzt. Oder ich marschiere selbstbewusst (manchmal auch nur gespielt) an kräftigen Vierbeinern vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen.

Es kommt vor, dass ich die Schönheit eines Rasse­­­hun­des bewundere oder die Klugheit der Po­lizeihunde. Und kürzlich im Tram unterhielt ich mich mit der Besitzerin einer «Trottoir­mischung», wie sie selbst sagte. So ein süsser Hund! Dazu kraulte sie ihn, er sah sie treuherzig an. Am Schluss verabschiedete ich mich mich einem «Adieu zäme», als ob das Fellknäuel mich verstehen könnte.