Schwerpunkt 23. Juni 2021, von Constanze Broelemann, Sandra Hohendahl-Tesch

«Wir sollten Paten statt Besitzer von Hunden sein»

Auf den Hund gekommen

Der Tierphilosoph Markus Wild erzählt, warum Hunde des Men­schen beste Freunde sind, nicht als Eigentum betrachtet werden sollten und welche Pflichten ihnen gegenüber bestehen.

Alle fühlenden Tiere sind gleich, lautet ein Grundsatz der Tierethik. Hat der Hund als bester Freund des Menschen eine Sonderstellung?

Markus Wild: Die Ethik behandelt die Fragen, was Tiere für Wesen sind, was ihre Bedürfnisse sind und welche Pflichten wir ihnen gegenüber haben. Viele Tiere können Schmerzen und Lust empfinden, sind bestrebt, als soziale Wesen ihr eigenes Leben zu leben. So gesehen ist der Hund ein Tier unter vielen und unterscheidet sich nicht von einer Forelle oder Laborratte.

Aber?

In unseren Breitengraden ist der Hund ein Haustier. Für diese übernehmen wir Verantwortung, ernähren sie, sorgen für sie. Wenn ein Stall brennt, sollte ich etwas unternehmen, damit die Kühe nicht zu Schaden kommen. Wenn Gnus auf ihrer Wanderung von Krokodilen gefressen werden, wird indes nicht von mir verlangt, dass ich sie schütze. Weltweit leben die meisten Hunde jedoch nicht mit Menschen, sondern in Rudeln in den Vor­städten. Der «beste Freund» ist doch eher eine westliche Sicht.

Sie haben selber einen Hund. Bitte charakterisieren Sie ihn.

Titus ist ziemlich eigenwillig, unternehmungslustig, verschmitzt und für seine neun Jahre erstaunlich ver­spielt. Von hohen Frauenstimmen fühlt er sich magisch angezogen. Vor Drohnen hingegen hat er panische Angst. Es gäbe noch viel mehr zu sagen …

Hunde haben folglich einen Charakter – haben sie auch eine Seele?

Für den Philosophen Ludwig Wittgenstein ist die Seele das spezifisch Individuelle, das, was ein Wesen aus­macht: Gesten, Blicke oder die Art zu gehen. Ich mag diese Definition, die sich auch auf Hunde beziehen lässt. Alle können sich freuen, aber nur Titus freut sich so, wie er sich eben freut.

«Hunde zwingen einen, sich vom Couch-Potato in ein minimal bewegliches We­sen zu verwandeln.»

Hunde lieben wir, Schweine verspeisen wir. Passt das zusammen?

In der Tat überrascht es, dass wir einen so himmelweiten Unterschied zwischen Hund und Schwein machen. Beide Tierarten sind einfühlsam, in­telligent und neugierig. Wir könnten genauso gut Schweine als Haus­tiere halten, was sogar besser wäre, weil sie keine Fleischfresser sind und einen kleineren ökologischen Pfotenabdruck haben.

Essen Sie Fleisch?

Meine Frau und ich leben vegan. Mit ein paar wenigen Ausnahmen. Wenn wir im Urlaub in Gebiete gehen, wo wir die lokale Produktion unterstützen möchten, zum Beispiel von Käse in Norditalien.

Ganz generell: Darf man Tiere aus Sicht des Ethikers töten?

Der Begriff Tier vereint Amöbe und Gorilla. Entscheidend ist die Empfindungsfähigkeit. Empfindungs­fähige Tiere sollte man nur töten, wenn es im besten Interesse des Tieres ist, wenn Euthanasie erforderlich ist. Töten zum eigenen Zweck sollte tabu sein. Ich halte Fleischkonsum für ethisch nicht vertretbar und wirtschaftlich überflüssig.

Zurück zu den lebendigen Tieren. Die Pandemie hat einen Hundeboom ausgelöst. Warum?

Ein Hund gibt Tagesstruktur und emo­tionalen Support. Er zwingt einen, sich von einem Couch-Potato in ein minimal bewegliches Wesen zu verwandeln. Und er spielt emotional eine wichtige Rolle, indem jemand zu Hause ist und wartet. Wer sich einen Hund anschafft, sollte sich aber den ganzen Lebenszyklus vor Augen führen. Als Welpe ist er süss, als Junghund ungestüm und mitunter anstrengend, im Alter wird er vielleicht zum Pflegefall.

Manchen ist es wichtig, dass sie einen Rassehund haben. Ist ein Hund ein Statussymbol?

Ein Hund ist auf jeden Fall ein State­ment, zum Beispiel, ob man ihn von einer Zucht hat oder von der Strasse rettet. Manchmal besteht eine Kor­relation zwischen politischen Ansichten und der Wahl des Hundes. Manche Leute sehen Hunde auch als Accessoire, das sie in die Hand­tasche stecken. Jemand mit einem Staf­fordshire Terrier signalisiert, dass mit ihm nicht gut Kirschen essen ist. Ich will mit meinem Australian Shepherd zeigen, dass ich nicht nur ein stubenhockender Professor bin, sondern auch jemand, der sich gern in der Natur bewegt.

Mehr Bewegung ist also die positive Seite des Booms?

Absolut. Ich würde gern mal be­rech­net sehen, wie viel Einsparungen im Gesundheitswesen Hundehalter eigentlich leisten. Warum soll­te ich als Hundebesitzer, der seine Verantwortung ernst nimmt, nicht zum Beispiel eine Krankenkassenvergünstigung bekommen?

Was halten Sie von Hundeschulen und Hundeerziehung?

Hundeschulen und -erziehung finde ich ausserordentlich wichtig. Ich bin Verfechter eines Obligatoriums, und zwar eines langen. Es sollten sehr hohe Anforderungen an Hundehaltende aller Rassen gestellt wer­den. Wenn man Hunde hat, bringt dies auch die Pflicht mit sich, diese zu sozialen Wesen zu erziehen. Und ebenso, die eigenen Reaktionen gegenüber dem Tier kennenzulernen und zu reflektieren.

Radikale Tierschützer vergleichen Hundehaltung mit Sklaverei. Wie sehen Sie das?

Diese Metapher ist unglücklich. Hun­dehaltung wird mit schwerem historischem Unrecht verglichen, mit dem Sklavenhandel in Amerika. Fakt aber ist: Hunde sind Privateigentum, sie sind uns ausgeliefert, wir können sie allzu rasch euthanasieren lassen. Gewisse Hunde arbeiten für uns ohne Ausgleich wie Altersvorsorge, Lohn oder Urlaub. So gesehen stimmt der Vergleich. Ich wäre dafür, dass wir den Besitzstatus an den Hunden aufgeben. Kinder besitzen wir ja auch nicht.

Jede an Atemnot leidende Bulldogge, die gar nicht erst gezüchtet würde, ist ein Glücksfall.

Den Besitzstatus aufgeben – können Sie das genauer erklären?

Hunde würden nicht mehr gehandelt und zum Verkauf angeboten, trotzdem könnten wir noch mit ihnen zusammenleben. Nehmen wir an, wir beschliessen heute, dass es kein Eigentum an Hunden mehr gibt: Dann sind sie ja nicht weg. Sie sind nach wie vor in unserer Obhut. Ich kann einen Hund an jemand anderen abgeben, von dem ich glaube, dass diese Person befähigt ist, mit diesem umzugehen. Mit dem Besitzstatus fällt die Verfügungsgewalt weg. Man adoptiert ein Tier, wird lebenslanger Pate.

Zuchten hätten quasi ausgedient?

Mit dem Vorteil, dass ohne mone­täre Anreize für Züchter vielleicht mehr Hunde aus prekären Verhältnissen gerettet würden. Man müsste zwar akzeptieren, dass einige Hun­derassen verschwinden. Aber jede infolge von Überzüchtung an Atembeschwerden leidende Bull­dog­ge, die gar nicht erst gezüchtet würde, ist ein Glücksfall.

Manche Menschen verhätscheln ihren Hund. Gibt es ethische Grenzen der Tierliebe?

Das kann mitunter problematisch sein. Man sollte sich gut überlegen, ob man ihn im Bett schlafen lässt. Aber Liebe und Geld in einen Hund zu investieren, etwa in der Tiermedizin, halte ich für richtig. Wie viel geben Leute über ein ganzes Leben für ihre Autos aus? Jetzt vergleiche man die Vollkostenrechnung damit, seinem Hund die Krebs- oder Chemotherapie zu zahlen.

Im Alten Testament gibt es die Aufforderung, sich die Tiere untertan zu machen (1 Mose 1,28).

Ich finde es schade, dass man in der Schöpfungsgeschichte immer diesen Passus nimmt. Meine Lieblingsgeschichte ist eher die, dass sich die Menschen im Paradies von Kräutern und Früchten ernährt haben. Das Paradies war vegetarisch, wenn nicht sogar vegan.

Zum Video über Dogdance.

Markus Wild, 50

Er ist Professor für Theoretische Philosophie an der Universität Basel mit Forschungsschwerpunkt Tier­philosophie. Diese befasst sich mit der Tierethik, Unterschieden zwischen Mensch und Tier sowie dem Bewusstsein von Tieren. Sein Hund Titus begleitet ihn regelmässig zu Vorlesungen und Seminaren. Auf Facebook hält er als «Titus Hunderich» nicht mit seinen Ansichten hinterm Berg.