Schwerpunkt 23. Juni 2021, von Nadja Ehrbar

«Die Hunde machen mich lebendig»

Auf den Hund gekommen

Die beiden Chihuahuas Zoë und Amélie haben Unschönes erlebt, bevor sie zur Theologin und Hundevermittlerin Sabrina Müller kamen.

Sabrina Müller (41) weiss, dass Besuch da ist, bevor sie ihn hört. Ihre Chihuahua-Damen Zoë und Amélie schiessen plötzlich hoch und rennen bellend zum Wohnzimmerfenster. Motorengeräusch ertönt. «Sie haben ein sehr gut ausgebildetes Gehör», sagt die Theologin und theologische Geschäftsführerin des Zentrums für Kirchenentwicklung an der Uni Zürich. «Und sie sind dazu gezüchtet worden, laut zu bellen, wenn sich ein potenzieller Eindringling dem Haus nähert.»

Fremden gegenüber sind die nur knapp drei Kilo schweren, braun-weissen Fellknäuel erst mal misstrauisch. Sie knurren und bellen sie an, bis Müller sagt: «Ist gut, ich habe euch gehört.» Dann verstummen sie, als wäre nichts gewesen. Dass sie Fremden nicht trauen oder sie gar fürchten, hat einen Grund.

Amélie lebte die ersten eineinhalb Jahre nur in einer Box. «Sie wusste nicht, was spazieren heisst», sagt Müller. Deshalb sei sie anfänglich wegen jedes Geräuschs, jeder Person und jedes Tieres erschrocken.

Etwas Schlimmes erlebt

Und Zoë hat Angst vor Händen. «Sie muss etwas Schlimmes erlebt haben», sagt Müller. Was es ist, weiss sie nicht. Doch ihr vertraute Zoë sofort. «Sie sprang in meinen Schoss, als sie mich zum ersten Mal sah.» Trotzdem dauerte es danach noch eine ganze Weile, bis sie Zoës ganzes Vertrauen gewann. Mittlerweile lässt sie sich rücklings auf ihrem Schoss den Bauch kraulen.

Ich liebe sie, und sie machen mich lebendig.
Sabrina Müller, Theologin und Hundevermittlerin

Müller, die auch als Geschäftsleiterin des Universitären Forschungsschwerpunkts zu Digital Religion(s) arbeitet, hatte schon als Kind Hunde. «Ich liebe sie, und sie machen mich lebendig.» Sie seien für sie ein Teil der Schöpfung, «genauso, wie das der Mensch ist». Daher verdienten sie denselben Respekt.

Dies ist auch ein Grund, weshalb sich Müller seit zwölf Jahren für den Tierschutzverein SOS Strassenhunde engagiert. Dieser kämpft mit der Hilfe von Tierschützerinnen und -schützern gegen das Leid der Vierbeiner in Süditalien. Einige der Tiere finden so auch zu neuen Besitzerinnen in der Schweiz.

Immer wieder Pflegehunde

Durch Vorkontrollen prüft Sabrina Müller künftige Halter auf ihre Tauglichkeit. Und sie nimmt regelmässig Hunde auf, die sie resozia­lisiert und pflegt, bis sie weiterver­mittelt werden können. «Das braucht viel Geduld», sagt sie. Doch die habe sie. Und sie arbeite sehr gern mit ihnen.

So nutzt sie Pausen im Home­office, um die Hunde in Kunststoffbällen Leckerli suchen zu lassen. Oder sie richtet sie auf bestimmte Gerüche ab. «Zoë findet Steinpilze», verrät sie. Aus ihr spricht der Stolz, den auch Eltern verspüren, wenn der Nachwuchs schreiben lernt.

Für Müller, die sich als Kopfmenschen bezeichnet, sind die Hunde Familienmitglieder, «die den emotionalen Teil aus mir herausholen». Wenn sie dereinst sterben, wird sie sich daher genauso mit einem Ritual von ihnen verabschieden, wie sie das bei Menschen tut.