«Wenn ich zu einem Verstorbenen trete, begrüsse ich ihn laut und sage ihm, dass wir ihn jetzt gemeinsam für die letzte Reise vorbereiten werden. Oft weiss ich dann schon einiges über ihn, da ich zuvor mit den Angehörigen gesprochen habe. Ich spüre den Menschen, doch steckt er für mich nicht mehr im Körper. Die Seele ist da, sie schaut mir auf die Finger. Wenn der Verstorbene in unseren Räumlichkeiten aufgebahrt ist, gehe ich jeden Tag zu ihm. Da erlebe ich, wie die Seele fortzieht. Wir haben eine offene Aufbahrung, man sieht den Toten brustaufwärts. Am Fussende des Sarges ist eine Holzabdeckung, auf die die Hinterbliebenen Blumen und Erinnerungsstücke stellen. Ab dem dritten Tag spüre ich, dass die Seele sich allmählich entfernt. Das entspricht den drei Tagen von Karfreitag bis Ostersonntag. Ich mag diesen Prozess nicht als ‹Auferstehung› bezeichnen, sondern sage ‹obsi gehen›: hinauf zu einer höheren Macht.
Der Abschied. Wenn wir den Verstorbenen bestatten, sage ich jeweils, dass das, was wir hier sehen, nur noch die Hülle ist. Kindern zu erzählen, ‹der Grossätti schläft jetzt tief›, finde ich gefährlich, sie wollen dann plötzlich nicht mehr schlafen gehen. Ich fordere alle auf, den Leichnam anzufassen, damit sie spüren, dass dies nur noch Hülle ist. Oder ich halte die Urne neben meinen Kopf und sage, dass der Mensch jetzt irgendwo anders ist, denn so klein kann er gar nicht sein, dass er jetzt in dieses Gefäss passt. Um das zu realisieren, brauchen die Angehörigen Zeit für den Abschied. Es gibt selten einen Grund, einen Toten möglichst schnell ‹wegzuschaffen›. Fünf bis sieben Tage sind nach meiner Erfahrung genug, um sich vom Körper zu verabschieden. Der Abschied von der Seele dauert oft viel länger.
Der Kreislauf. Schon mein Urgrossvater, mein Grossvater und mein Vater waren Gärtner und Totengräber. Früher machte der Dorfschreiner die Särge, und der Gärtner bestattete die Leute. Der Tod war für mich also von klein auf allgegenwärtig. Und als Gärtnersfamilie war uns auch der Kreislauf der Natur vertraut. Meine Frau, mit der ich seit zehn Jahren Bestattungen von A bis Z gestalte, nimmt diesen jeweils im Abschiedsritual auf. Die letzte Beerdigung gestaltete sie zur Auferstehung anhand von drei vertrockneten Buchenblättern und -knospen. Dieses Thema ist immer Teil des Rituals. Denn es geht weiter. Und auch für die Hinterbliebenen ist Auferstehung ein Thema: Nur wer Trauer zulässt und durchlebt, kann daraus auferstehen und den Blick in die Zukunft richten.»