Loblied auf das Leben oder Sieg über den Tod

Auferstehung

An Ostern wird in den Kirchen Jesu Auferstehung gefeiert. Doch ist er wirklich «leiblich» auferstanden? Ein theologisches Streitgespräch.

Ella de Groot, Pfarrerin in Gümligen bei Bern, und Ralph Kunz, Theologieprofessor an der Universität Zürich, stehen theologisch weit auseinander. Beide haben reformierte Theologie studiert, interpretieren die Bibel aber heute ganz unterschiedlich. Sie nennt sich «anatheistisch», vertritt eine Theologie, die nach dem Göttlichen «hier und jetzt» sucht. Er sieht sich als «Christ in der biblischen Tradition». Entsprechend unterschiedlich predigen sie die Osterbotschaft: Sie als Loblied auf das Leben. Er als Überwindung des Todes. Wir lassen beide eine Osterpredigt (siehe Kasten) des andern lesen und darauf reagieren.

Ella de Groot, in seiner Osterpredigt spielt Ralph Kunz mit dem Bild vom Wolf und den sieben Geisslein. Und er bekennt sich dazu, dass im Leben, wie in diesem Märchen, das Böse und der Tod nicht siegen. Wie ist das bei Ihnen angekommen?

Ella de Groot: Mir gefiel dieser Einstieg. Doch plötzlich war ich verunsichert: Soll ich jetzt die ganze Predigt als Märchen verstehen? Oder glaubt Ralph Kunz tatsächlich an eine Auferstehung, in leiblicher oder geistiger Form, an ein ewiges jenseitiges Leben? Ich war ratlos und dachte, naja, so spricht man halt in der Kirche.

Und wie ging es Ihnen, Ralph Kunz, mit Ella de Groots Predigt, die auf die «Kraft des Lebens» fokussiert?

Ralph Kunz: Zuerst war ich irritiert, wurde sogar aggressiv. Dachte, das gibts doch nicht. Eine solche Predigt ist doch weder christlich noch theologisch, weder anspruchsvoll noch spirituell. Doch dann fand ich einiges sehr schön und einfühlsam. Ich glaube auch begriffen zu haben zu haben, was Ella de Groot mit Auferstehung verbindet. Nämlich: lebendiges Leben, volles Leben. Aber ich musste dreimal lesen, bis ich so viel verstand.

Eine Osterpredigt, die man nicht auf Anhieb versteht: Ist das symptomatisch?

Kunz: Auferstehung ist schwierig zu verstehen, weil es ein Versuch ist, sich sprachlich an die Vollendung der Schöpfung, an das Reich Gottes heranzutasten.

de Groot: Aber ehrlich: Was meinen Sie nun wirklich? Glauben Sie an ein Weiterleben nach dem Tod in einer andern Existenz? Oder ist «Auferstehung» bloss als Metapher zu verstehen?

Kunz: Es ist mehr als bloss eine Metapher. Aber es geht nicht um mein Bedürf-
nis, ewig zu leben. Es geht auch nicht um den Körper von Jesus, der gerettet worden ist. Für mich ist Auferstehung der Aufstand und der Protest gegen den gewaltsamen Tod von jemandem, der Gerechtigkeit und Liebe gelebt hat.

de Groot: Einverstanden. Auferstehung heisst leben. Aber warum kommt es so verschlüsselt daher?

Kunz: Und warum höre ich in Ihrer Predigt nur Blumen, Blumen, Blumen? Nie von Christus? Ostern ist bei Ihnen christusfreie Zone. Mir fehlt der Rückbezug.

de Groot: Ich mache ihn anders, weil diese Sprache heute nicht mehr verstanden wird. Es ist die Sprache des 17. Jahrhunderts, die keinen Bezug zu meinem Leben hier und jetzt hat. Glauben an Auferstehung ist Teilhabe an der Veränderung unserer Welt. Da ist Christus implizit drin. Was predigte Jesus anderes?

Kunz: Warum aber ist Christus nicht explizit drin? Warum sprechen Sie ihn nicht an? Warum gibt es kein Du, keinen Bezug zu Gott?

de Groot: Wenn ich «Gott» sage, dann sind wir automatisch in diesem Bild: ich hier unten – du, Gott, dort oben. Dieser Dualismus stimmt für mich nicht. Da werden Gott und Mensch auseinandergenommen.

Kunz: Aber es gibt doch eine fundamentale Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf. Da ist wohl genau unser Konflikt. Ich bin auf der Linie des biblischen Verständnisses von Gott und Mensch. Das ist die Grundlage meiner Religiosität. Auch dort, wo ich es nicht begreifen oder erklären kann. Für mich haben Sie eine andere Religion. Für mein Verständnis ist das nicht mehr christlich.

de Groot: Bin ich nur christlich, wenn ich Christus anspreche? Ist es nicht auch christlich, wenn Menschen sich einsetzen für eine gerechtere Welt? Bei mir steht der Mensch im Vordergrund. Es geht mir darum, Erfahrungen von Auferstehung im Leben sichtbar zu machen. Daraus können wir Vertrauen schöpfen, Vertrauen in das Leben.

Kunz: Klar gehts um das Leben. Mein Herz geht auf, wenn ich das höre. Wir müssen Erfahrungen machen. Auch einverstanden. Aber wir dürfen doch auch beten, Psalmen singen. Warum darf das in Ihrer Predigt nicht sein?

de Groot: Weil ich als Frau dieser Zeit vernünftig denken und handeln will, angeregt von biblischen Geschichten. Aber wenn Sie in Ihrer Predigt sagen, «mein Tod liegt bereits hinter mir», ist für mich der Moment da, aufzustehen und die Kirche zu verlassen.

Kunz: Das ist die Sprache des Glaubens. Und wenn die Menschen in der Gemeinde diese nicht mehr verstehen können, ist es doch der Auftrag der Predigt, sich mit dem Schwerverständlichen in der Auslegungstradition der Bibel auseinanderzusetzen. Die Auferstehung Jesu ist Teil einer Story. Und ich will diese Geschichte ganz erzählen. Mit allen Pointen. Da gehört eben die Auferweckung des Gekreuzigten dazu.

de Groot: Und ich will von den Lebenserfahrungen der Menschen, Gläubigen und Nichtgläubigen, ausgehen. Ich arbeitete ein halbes Jahr als Pfarrerin in Rotterdam. Im schwierigsten Quartier, mit Arbeitslosen, Sozialfällen, Drogenkranken … Da habe ich in Begegnungen viele Gotteserfahrungen gemacht und etliche «Auferstehungen» erlebt.

Und das alles ganz ohne Bibel? Rückt bei Ihnen da nicht die Tradition immer mehr in den Hintergrund?

de Groot: Nein, die Bibel bleibt für mich der Kern meiner Botschaft. Ich kann keine Predigt schreiben ohne biblischen Bezug. Diese Tradition weiterzugeben, ist mir ein grosses Anliegen. Aber ich bin überzeugt: Man kann die Bibel heute nur glaubhaft weitergeben, wenn man an die Erfahrungen der Menschen anknüpft.

Kunz: Ich bin auch der Meinung, dass wir achtsam sein sollen für die Gegenwart, für die Menschen – und nicht irgendein religiöses Konstrukt verteidigen. Ich begreife aber nicht, warum sich der Gottesbezug auflösen muss. Warum darf da Christus, darf Gott, nicht explizit vorkommen? Warum darf es keine Anbetung mehr geben?

de Groot: Zurückgefragt: Warum ist das unbedingt nötig?

Kunz: Weil ich Gott die Ehre geben möchte. Weil mein Herz dafür schlägt. Weil ich froh werde, wenn ich Psalmen und Kirchenlieder singen kann. Das verbindet mich auch mit der Gottesdienstgemeinde.

de Groot: Mich verbindet mit den Menschen nicht das Kirchenmitgliedsein, nicht das Reformiertsein, sondern Momente der Einsamkeit und der Trauer, die wir zusammen teilen. Und die Erfahrungen der Auferstehungen, wenn wir aufeinander zugehen.

Kunz: Das erlebe ich ja alles auch. Aber ich will solche Begegnungen mit einer offenen Bibel machen können. Weil ich in einer bestimmten Tradition stehe.

Aber wie war es denn nun mit dem leeren Grab? Die Diskussion zwischen den beiden wird nun sehr theologisch. «Höchstwahrscheinlich» – so Kunz – sei das Grab nicht leer gewesen. Davon stehe ja auch nichts bei Paulus, pflichtet ihm die Theologin bei: Paulus hatte keine Begegnung mit dem Auferstandenen, sondern eine Erleuchtung. Ja, sagt Kunz, es war seine «Erkenntnis», dass Gott sich «mit dem Gekreuzigten» identifiziert. «In der Sprache von Paulus», präzisiert de Groot, «hat Gott die Liebe auferweckt. Das meine ich mit Auferstehung hier und jetzt.»

Wir stellen fest: Auferstehung bewegt und führt bis heute zu hitzigen Diskussionen – wenn man die Differenzen zulässt. Schlussfrage darum: Wo passieren solche Debatten in der Kirche?

Kunz: Ich stehe hinter meiner Gottesrede. Aber es stimmt schon, für alle, die nicht so sozialisiert wurden, kann es unverständlich werden. Wir müssen die klassische Form der monologischen Predigt wohl hinterfragen. Und mehr streiten. Ich wünsche mir einen Ort, ein Lehrhaus, wo man, wie im Judentum, über die Auslegung der heiligen Schriften debattieren kann. Doch an diesem Ort müsste nicht nur gelehrt, gelernt und gestritten, sondern auch gefeiert werden.

de Groot: Ich wünsche mir einen grossen Tisch, irgendwo, und zwar ohne Kirchenbänke. Und alle sitzen um diesen Tisch herum, lesen und diskutieren – auf Augenhöhe.

Kunz: Das setzt aber voraus, dass man weiss, worüber man streitet, was man unter Gott versteht und was nicht. Mit anderen Worten: Das setzt eine elementare theologische Bildung voraus.

Ralph Kunz, 51

ist Professor für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich mit den Schwerpunkten Gottesdienst, Predigt und Seelsorge. Seine zur Debatte stehende Osterpredigt wurde auf Radio SRF 2 ausgestrahlt.

Seine Osterpredigt 2008 im Wortlaut finden Sie hier.

Ella de Groot, 57

ist Gemeindepfarrerin in Muri-Gümligen. Die gebürtige Holländerin lebt in Bern. Sie machte vor zwei Jahren nationale Schlagzeilen, als sie in einer Religionssendung von SRF2 sagte, dass sie nicht an einen personalen Gott glaube.

Ihre Osterpredigt 2014 im Wortlaut finden Sie hier.