Haben Sie ein Smartphone?
Peter Wild: Ja, ich bin mit vielen Leuten verbunden. Heute Morgen um sechs meldete sich per Whatsapp ein Mann, den ich begleite: Er sei in einer Krise. Ich rief ihn an.
Ihr Handy ist nie aus?
Nein. Ich bin Teil der Alarmkette meiner Schwiegermutter. Sie ist 92.
Erstaunlich, dass der Entschleunigungsexperte ständig erreichbar ist.
Mein spiritueller Hintergrund hilft mir, nicht ständig am Handy zu sein. Mir ist egal, ob es an oder aus ist. Ich kann mich gut auf das einlassen, was gerade ist, und muss nicht wissen, was sonst noch läuft.
Sehr vielen gelingt das nicht.
Gewisse Menschen können sich besser sammeln als andere. Aber es hat auch mit Disziplin zu tun, die man einüben kann. Ich lernte es durch meine Jahre im Internat in Einsiedeln und im Kloster, zudem meditierte ich schon als Teenager.
Warum ist es so wichtig, präsent zu sein statt sich zwischendurch ein bisschen ablenken zu lassen?
Wir wissen aus der Burnout-Prophylaxe, dass das Vermischen verschiedener Lebensbereiche wie Beruf und Familie zu Stress führen kann. Darum ist es wichtig, präsent sein zu können. Was den Leuten zum Verhängnis wird, ist der Drang, nichts zu verpassen. Das Handy kann ein Segen sein, aber oft rückt es Dinge in den Vordergrund, die keine Priorität haben. Und es würde Menschen besser gehen, nähmen sie die Arbeit nicht überall mit hin.
Wie schaffen wir das?
Rituale kurz vor Arbeitsschluss können helfen. Zum Beispiel, indem Sie kurz den Tag durchgehen und das, was Ihnen nachlaufen könnte, bewusst dort lassen. Auf dem Heimweg gehen Sie in Gedanken, oder lesend, bewusst von der Arbeit weg. Es hilft, vom Kopf auf den Körper umzustellen, durch Bewegung, Gartenarbeit, Yoga. Im Kopf kann ich überall sein, aber im Körper nur im Jetzt und Hier.
Nach solchen Momenten sehnen sich viele. Warum gelingt es nicht?
Viele sagen, dass sie es wollen, aber eigentlich wollen sie es gar nicht. In unserer Kultur der Produktivität erzählt man gern, dass man Stress hat. Das ist eine Qualität, mit der man auftreten kann. Sage ich, dass es mir gut geht, klingt das verdächtig. Das muss ich erst beweisen.
Ist das Thema Entschleunigung nicht ein Luxusproblem unserer Zeit?
Früher dachte ein Fabrikarbeiter kaum über so etwas nach. Ich weiss nicht, ob es ein Luxusproblem ist. Dass so viele Menschen unter Stress leiden und daran erkranken, zeigt jedenfalls Überforderung. Viele sind im Job, in der Beziehung, im Elternsein auf einem hohen Anforderungsniveau unterwegs. Ist da plötzlich ein Gesundheitsproblem, ein Streit oder ein Kind, das nicht zur Schule will, wird es sofort zu viel.
Wir müssen lernen, runterzukommen, damit wir mehr Spielraum haben. Heute darf uns eine Beerdigung oder eine Erkrankung aus dem Rhythmus bringen, ansonsten steht die Arbeit über allem. Das hat zugenommen.
Viele haben einen Job, den sie mögen. Stress kann auch beflügeln.
Dieser sogenannte Eustress wird von der Medizin nicht mehr anerkannt. Der Körper kann nicht zwischen gutem und schlechtem Stress unterscheiden. Er leidet, wenn keine Entspannung mehr stattfindet.
Was ist elementar in einer Pause?
Sie darf nicht verzweckt sein, nichts soll dabei rausschauen müssen. Mir gelingt das mit Bewegung, Lesen, Musikhören, Musizieren. Und Pausen sollten in einem Rhythmus stattfinden. Ich probiere, möglichst jede Woche einen Wandertag einzulegen. Meine Pausen stehen in meiner Agenda.
Wenn Sie sich vornehmen, einen besonders steilen Berg zu erklimmen, ist das keine Pause mehr?
Wichtig ist, welche Landschaft mich anzieht, und nicht, welche Strecke ich absolvieren muss. Jeder Mensch muss sich selbst fragen: Was lässt mich aufleben, damit ich wieder mag? Nicht nur, um wieder arbeiten zu können, sondern auch, um sich nicht immer gegen das sperren zu müssen, was alles auf einen zukommt.
Was passiert Ihnen in einer Pause?
Ich komme zur Ruhe, nehme meine Umgebung wahr. Passe ich nicht auf, bin ich in den ersten Stunden innerlich am Plaudern, wiederhole Dialoge, verteidige mich. Ich kenne Techniken, um das abzustellen.
Hatten Sie im Kloster Pausen? Der Rhythmus ist ja streng vorgegeben.
Für Minuten vor der Gebeteszeit läutet jeweils die Glocke – das Zeichen, die Arbeit zu unterbrechen. Diese Klarheit, etwas beiseite legen zu dürfen, das soeben noch schaurig wichtig war, finde ich hilfreich. Im Kloster gibt es zudem Schweige-Zeiten. Da ist man geschützt in der Stille. Das Gebet ist eine Zeit, in der man nichts anderes macht.
Ist das Gebet eine Pause?
Für mich ja. Ich gehe in einen Bereich, in dem ich aufgehoben bin.
Sind Gebete wirklich zweckfrei?
Ja, ich muss Gott nichts beweisen, und er muss mir nichts beibringen. Im Kloster gab es auch vorgegebene Gebete. Sie spricht man, ohne dass der Inhalt so wichtig ist. Sie sind wie ein Raum, in dem man sich aufhält, wie ein Mantra. Ich lese in der Bibel, weil ich gerne lese und nicht, um eine Pflicht zu erledigen.
Aber die Autoren der Psalmen erhoffen sich schon etwas von Gott.
Wenn ich eine Pause nötig hatte, rezitierte ich keinen Klagepsalm. Im Chorgebet waren die Psalmen vorgegeben. Ich betete sie manchmal stellvertretend für jemand anderen. Die Verbundenheit mit Gott scheint mir das zu sein, was die Pause ausmacht. Ein Gebet kann mir helfen, dorthin zu gelangen.
Das vierte Gebot schreibt eine Pause vor. Doch heute herrscht am Sonntag oft viel Betriebsamkeit.
Es gibt immer noch Menschen, die den Sonntag frei von Verpflichtungen lassen. Doch wenn ich bei einem jüdischen Freund bin und am Freitagabend erlebe, wie die Familie plötzlich auf die Pause des Sabbat umstellt, realisiere ich, wie wenig Christen das noch können. Meine Frau arbeitet mit Kindern. Sie sagt, dass sie montags am meisten erledigt sind, weil das Wochenende so anstrengend war.