Wer die Langeweile aushält, findet das Glück

Pause

Sie hat einen schweren Stand – und doch gehört sie zu jedem Atemzug. Höchste Zeit, zwecklose Auszeiten wieder zu entdecken. In ihnen schlummert auch das Glück.

Dieser Text ist ein Lob auf die Pause. Denn sie hat einen schweren Stand heutzutage. Kaum ein Büro lässt sich finden, wo sich noch alle zur gemeinsamen Kaffeepause versammeln. Von der Sendepause am Fernsehen haben wir uns schon vor vielen Jahren verabschiedet. Vorbei die Zeit, als nach dem «Tatort» schon bald das Testbild mit Gitter, Kreis, bunten Feldern und Balken erschien. Es weckt höchstens noch Nostalgiegefühle. Heute wird rund um die Uhr gesendet, obwohl das, was über den Bildschirm flimmert, bloss endlos wiederholt wird.

Sogar die Theaterpause fällt in den Inszenierungen immer häufiger aus. Obwohl sie doch so prima war zum Sehen und Gesehenwerden, zum Kontakteknüpfen und Geschäftemachen und ja, natürlich auch zum Nachdenken und Diskutieren über das Dargebotene.

Ausgefüllte Pausen

Am eifrigsten geben wir selber unsere Pausen auf. Mit der gleichen Geschäftigkeit, die im Beruf den Alltag bestimmt, füllen wir unsere Auszeiten. Das soll nicht heissen, dass wir einfach selbst schuld sind, wenn wir atemlos unterwegs sind. Das Leistungstempo in westlichen Gesellschaften ist gestiegen.

Eine E-Mail ist zwar viel schneller geschrieben als ein Brief. Doch Zeit gewinnt man damit keine, nun wird einfach noch mehr kommuniziert, und zwar pausenlos. Das Gegenüber erwartet eine rasche Antwort. Sich den Erwartungshaltungen einer beschleunigten Gesellschaft als einzelner Mensch zu entziehen, ist schwierig. Wir haben uns gemeinsame Strukturen geschaffen, die den Takt vorgeben.

Bereitwillig in den Stress

Erstaunlich ist, wie bereitwillig wir uns diesem Takt fügen. Wie oft wir über Zeitnot und Stress klagen und wie wenig wir zugleich daran glauben, an den vorgegebenen Strukturen etwas ändern zu können.

Dabei gehört die Pause schon rein biologisch zum Menschsein. Nach jedem Ein- und Ausatmen halten die Lungen einen klitzekleinen Moment lang die Luft an. Unser Atem macht Pause um Pause.

Sport- und Hirnforschung haben längst bewiesen, wie wichtig Pausen für Körper und Geist sind. Ruhezeiten vom Training sind unerlässlich, damit Kreislauf und Stoffwechsel sich steigenden Anforderungen anpassen können oder Muskelmasse aufgebaut wird. Das Hirn wiederum nutzt Denkpausen und Schlaf, um die Eindrücke des Tages zu sortieren, überflüssige Nervenverbindungen abzubauen und neue Synapsen zu bilden und zu entscheiden, was vom Zwischenspeicher ins Langzeitgedächtnis transferiert werden soll.

Angesichts dieser Erkenntnisse erstaunt es nicht, dass die Pausen im Schulalltag noch immer pünktlich eingehalten werden. Alle haben wir erlebt, wie gut es tat, in der grossen Pause den Kopf zu lüften. Wie die Zappelphilippe befreit herumrannten, Schülerinnen und Schüler Kämpfe und Konflikte austrugen, wie wichtige Abmachungen getroffen, Liebesbriefe überreicht und manchmal vorangegangene Lektionen und anstehende Prüfungen besprochen wurden.

Die Freiheit des Faulenzens

Viele grosse Ideen sind während Pausen, im Müssiggang oder im Schlaf entstanden. Isaac Newton etwa soll die Erleuchtung zu seiner Gravitationstheorie gehabt haben, als er im Garten faulenzte und einen Apfel vom Baum fallen sah. Und gönnte sich der französische Dichter Saint-Pol-Roux seinen Mittagsschlaf, hing an seiner Zimmertür immer ein Schild mit der Aufschrift: «Poet bei der Arbeit».

Ein Lob auf die Pause kommt nicht aus ohne ein Lob auf die Musse. Denn die wohl besten Pausen sind jene, in denen man gar nichts tut. Für den griechischen Philosophen Sokrates war die Musse die Schwester der Freiheit. Und auch sein römischer Kollege Cicero meinte in seiner Schrift «De oratore»: «Wann endlich willst du nichts tun? Denn mir scheint der nicht frei zu sein, der nicht zuweilen nichts tut.»

Zwar scheint der Mensch während Pausen besonders kreativ zu sein. Doch wahre Musse ist frei von Verwertungslogik. Sie ist keine funktionelle Methode, um die Schaffenskraft wiederherzustellen, fitter, gescheiter zu werden. Sie ist ohne Zweck und genügt sich selber.

Alle Spiele sind gespielt

Ein langer Sommer liegt hinter uns. Denkt man an die grossen Ferien der Kindheit zurück, wird man sich auch an die Langeweile erinnern, die sich manchmal einstellte. Gleichförmig zogen sich die Tage dahin, alle Spiele waren gespielt, die Sonne schien immer noch oder der Regen hörte nicht auf. Und plötzlich tauchte da im Kopf eine Idee auf, die einen elektrisierte, an deren Umsetzung man sich begeistert machte und darüber alles vergass. Man hatte ja Zeit.

Erinnern Sie sich an dieses Glücksgefühl mitten in der Langeweile? Es entsteht manchmal während einer Pause.