Schwerpunkt 07. Januar 2020, von Delf Bucher

«Ewig leben, das ist ein Albtraum»

Ewig leben?

Die Transhumanisten wollen durch Fortschritt den Tod abschaffen. Die Theologin Katharina Klöcker kontert, die Maschi­ne werde den Menschen nicht erlösen.

Der Erfinder und Futurologe Ray Kurzweil antwortete auf die Frage, ob es Gott gibt: Noch sei es nicht so weit. Bald werde jedoch die künst­liche Intelligenz den Computergott schaffen. Was sagen Sie dazu?

Katharina Klöcker: Solche Provokationen sind auf mediale Wirkung aus. Vor allem aber hat es etwas Selbstentlarvendes, wenn Transhumanisten sich Computergötter vorstellen. Das sollten wir Theologinnen und Theologen gelassen sehen.

Die Theologie hat bereits reagiert. Sie selbst haben einen Beitrag in ­einem umfangreichen Buch* zu diesem Thema geschrieben.

Mein Interesse daran ist folgendes: Wenn der Transhumanismus die Vorstellung auf die Spitze treibt, alles sei technisch möglich, stellt sich uns die Frage, wie wir damit umgehen sollen. Gerade mit Blick darauf, dass den rasant entwickelnden Innovationen immer öfter Erlösungspotenzial zugesprochen wird.

Und daraus folgt für die Ethikerin und den Ethiker: Mit Normen und Verboten soll der technologische Fortschritt begrenzt werden?

Die Zeit einer simplen Verbotsethik ist vorbei. Das heisst aber nicht, dass wir Abschied nehmen von der Suche nach verbindlichen Regelungen. Im Gegenteil: Gerade etwa im Hinblick auf aktuelle Fragen in der Gentechnologie müssen wir intensiv diskutieren, um global verbindliche Regeln zu schaffen. Wenn wir fragen, wie wir mit den Herausforderungen durch neue Technologien umgehen, dann taugen einfache Ant­worten oft wenig. Wir müssen uns vielmehr in komplexe Abwägungsprozesse hineinbegeben.

Und wie wollen Sie den Menschen als Theologin und Ethikerin bei der Entscheidungsfindung helfen?

Ich will gute Argumente zur Verfügung stellen und Menschen befähigen, verantwortbare Entscheidungen zu treffen. Voraussetzung hierzu ist aber, überhaupt erst einmal die Wahrnehmung für die ethischen Probleme zu schärfen, mit de­nen uns neue Errungenschaften und Technologien konfrontieren. Es geht um das genaue Hinsehen. Als theologische Ethikerin merke ich immer wieder, wie das Evan­gelium meine Sinne schärft – die Botschaft von der Kraft, die gerade auch dem Schwachen und Unvollkommenen innewohnt.

Wo liegt das grösste Problem in Bezug auf den Transhumanismus?

Die sogenannten Transhumanisten befürworten nahezu ungebrochen Op­timierungstechnologien. Auch ich halte viele technische Errungen­schaften, die unser Leben verbessern oder vereinfachen, für absolut begrüssenswert. Aber schaut man sich die transhumanistischen Utopien genauer an, dann beschleicht einen der Verdacht, dass die Optimierung des Menschen in erster Linie eine möglichst optimale Anpassung an die gegebenen Verhältnisse meint. Das, was der Perfektionierung bedarf, wird als defizitär und technisch überwindbar gesehen.

Also eine Welt ganz ohne Depres­sionen, ohne Behinderungen, Krank­heiten und Gebrechen?

Ich frage mich, ob wir uns auf diese Weise letztlich nicht verhärten oder sogar überheblich werden gegenüber dem Leiden, das es ja nach wie vor geben wird.

Der Transhumanist wird entgegnen: Der Behinderte bekommt einen perfekten Roboterarm, der Depressive die erlösende Glückspille.

Ich spreche mich entschieden dafür aus, die Technik in einem menschenfreundlichen Sinn zu nutzen, um bessere Lebensbedingungen für alle zu schaffen. Der springende Punkt ist aber, dass die Technik uns nicht unverwundbar oder sogar unsterblich machen kann. In solchen Wunschbildern wird der schran­ken­lose Technikglaube des Transhumanismus greifbar. Ganz so, als könnten uns die Technologien erlösen. Fatal an dieser Technikhörigkeit ist, dass dabei der Impuls, für eine gerechtere Welt einzutreten, ab­handen kommt.

Es geht Ihnen also weniger darum, Normen und Grenzen zu definieren. Im Mittelpunkt soll die Entschei­dung stehen: Will ich mich nur selbst perfektionieren oder zusammen mit meinen Mitmenschen die Welt verbessern?

Wir sollten die Gefahr erkennen, dass der technizistische Machbarkeitsglaube unser Engagement unterhöhlt, für eine gerechtere Welt einzustehen. Wer nur noch darauf abzielt, sich selbst zu optimieren, in dessen Weltbild wird Solidarität zu einem Fremdwort.

Aber Transhumanismus ist doch mit dem Thema des ewigen Lebens mehr als eine Technikutopie. Schwingt da nicht Spirituelles mit?

Ganz offensichtlich will der Transhumanismus die menschliche Sehn­sucht nach Unsterblichkeit bedienen. Wie er das macht, finde ich oft ziemlich plump. Aber er macht damit auf eine Signatur unserer Zeit aufmerksam: Wir hoffen, dass die Technik uns immer unverwundbarer macht. Sie soll Krankheit und letztlich den Tod besiegen. Dieser Wunschtraum ist uralt, denken wir zum Beispiel nur an den griechischen Helden Achilles.

Und der antike Held blieb an seiner Ferse verwundbar.

Ja, wir können anstellen, was wir wollen, wir bleiben verwundbar. Das Christentum bürstet die Logik des Transhumanismus gegen den Strich: Gerade in der äussersten Form der Verwundbarkeit zeigt sich der christliche Gott, in der Krippe und am Kreuz. Hier spricht Gott dem Menschen Nähe zu. In unserer Schwachheit bekennt sich der zum Menschen gewordene Gott zu uns.

Die christliche Leidensreligion als Alternative zu den technizistischen Utopien der Transhumanisten?

Nein. Es geht mir ja gerade nicht um eine Verherrlichung des Leidens. Diese unsägliche Tradition im Christentum haben wir zum Glück überwunden. Und ich möchte auch nicht so verstanden werden, dass ich einem Technikskeptizismus anhänge. Aber ich glaube, wir sollten misstrauisch sein, wenn den neuen Technologien ein Erlösungspotenzial zugesprochen wird. Die Maschine wird uns nicht erlösen. Wir sind diejenigen, die das Leid auf der Welt bekämpfen müssen.

Auch der christliche Glaube verheisst ein ewiges Leben.

Die christliche Vorstellung vom ewigen Leben ist eine ganz andere. Gott wird unser Leben vollenden, so hoffen wir Christinnen und Christen. Die Auferstehungshoffnung ist damit verbunden, dass wir in unseren Beziehungen, in unserer personalen Identität verwandelt, vervollkommnet werden.

In einer Umfrage zum ewigen Leben würden wohl selbst Christinnen und Christen mehrheitlich eher auf die Verlängerung der Gegenwart ins Unendliche hoffen denn auf eine Transformation.

Das ist ein Urtraum, der mich an meinen Sohn erinnert. Als er drei Jahre alt war, sagte er: «Mama, wir sterben nicht, einverstanden?» Sieben Jahre später kam er aber zu mir und erklärte, die Vorstellung, dass etwas niemals aufhört und ewig sein soll, mache ihm Angst. Der anfängliche Traum von der Endlosigkeit verwandelt sich in einen Albtraum. Aber ist das nicht gerade der transhumanistische Traum?

Ist die Vorstellung, ewig zu leben, eine Horrorvorstellung?

Nicht nur für meinen Sohn. Wahrscheinlich gilt dies für viele Menschen. Auf der einen Seite ist die Begrenzt­­heit des Lebens eine der schmerzhaftesten Erfahrungen, mit der wir andauernd umgehen müssen. Andererseits bedrängt uns die Vorstellung der Ewigkeit ebenso, weil wir uns nur schwer vorstellen können, wie wir in diesem zeitlich Entgrenzten die Form für ein gutes Leben finden könnten. Aus diesem Grund ist es gut, es Gott zu überlassen, Ewigkeit und gutes Leben in Einklang zu bringen. Gott ist auch der Zeit überlegen.

* Benedikt Paul Göcke, Frank Meier-Hamid (hrsg.): Designobjekt Mensch. Herder-Verlag, 2018, 532, S. Fr. 67.–.

Katharina Klöcker, 47

Nach ihrem Studium in Tübingen, Paris und Münster arbeitete die Theologin als Journalistin. Ab 2004 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster tätig. Seit 2015 ist sie Juniorprofessorin für Theolo­­gische Ethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum.