Schwerpunkt 07. Januar 2020, von Delf Bucher

Wie wir das Sterben hinauszuschieben oder zu vermeiden versuchen – und warum (nicht)

Ewig leben?

Der Mensch arbeitet an seiner Unsterblichkeit. In der Medizin und der Com­putertechnologie wird intensiv geforscht. Noch ist es aber ein weiter Weg.

Laut der Bibel liegt die Verfügungsgewalt über Leben und Tod nicht beim Menschen, sondern bei Gott. Nachdem Adam und Eva im Paradies den Apfel vom Baum der Erkenntnis gepflückt hatten, sprach Gott: «Nun sollen sie nicht auch noch vom Baum des Lebens essen und ewig leben!» (Gen 3,22) Deshalb vertrieb der Schöpfer die Menschen aus dem Garten Eden.

Noch war ihnen aber ein langes Leben vergönnt: Adam wurde 930-jährig, Noah 950-jährig. Methusalem ist in der Reihe der Erzväter mit seinen 969 Jahren der Älteste. Später jedoch verfügte Gott: «Mein Geist soll nicht auf immer im Menschen bleiben, weil auch er Fleisch ist. Seine Lebenszeit soll hundertzwanzig Jahre sein» (Gen 6,3).

Diese biblische Aussage wird von der Wissenschaft gestützt. Die Genetiker des Albert Einstein Institute in New York setzen die Grenze der menschlichen Lebensdauer exakt bei 120 Jahren an; kaum eine Frau oder ein Mann haben bisher dieses Limit überschritten.

Das Ende des Alterns

Bereits der sagenhafte sumerische König Gilgamesch machte sich Gedanken darüber, wie er diese von den Göttern gesetzte Schranke über­win­den und die Unsterblichkeit erlangen könnte. Auch für David A. Sinclair von der Havard Medical School sind 120 Jahre zu wenig. In seinem ­neuen Buch «Das Ende des Alterns» verkündet er vollmundig: «Poten­ziell können wir ewig leben.» Der Genetiker und Prophet der Lang­lebigkeit ist überzeugt, nicht in einer mythischen Ursuppe herumzustochern, sondern mit der «Informationstheorie des Alterns» ein faktenbasiertes Argumentarium auf seiner Seite zu haben.

Fast doppelt so lange

Dank der Fortschritte der Medizin strebt die Kurve der Lebenserwartung nach oben. Zwischen 1876 und heute hat sich beispielsweise in der Schweiz die Lebensspanne beinahe verdoppelt. Männer leben heute durchschnittlich länger als 81 Jahre, Frauen schon beinahe 86 Jahre. Und wenn die Berechnungen des Bundesamtes für Statistik stimmen, sind die Hundertjährigen bald keine Besonderheit mehr. Laut David A. Sinclair wird es sogar noch rascher als bisher weiter­gehen. Innovationen auf den Gebieten der Phar­makologie und Genetik würden schnel­ler voranschreiten als der Alterungsprozess selbst. Der Mensch wäre dann unsterblich.

Den Traum vom ewigen Leben träumte auch die Japanerin Kim Snoo­zi. Die 23-Jährige starb an ­ei­­­nem Gehirntumor. Zuvor hatte sie es aber dank Crowdfunding geschafft: Tiefgekühlt ruht sie in ­ei­nem Tank in flüssigem Stickstoff bei extrem frostigen Minusgraden, hofft auf medizinischen Fortschritt und damit auf Auferstehung.

Die Gefriertechnik erscheint im digitalen Zeitalter jedoch bereits et­was an­tiquiert. Bisher ist auch noch kein einziges Versuchstier nach der Schock­­frostung wiederbelebt worden. Neue technologische Utopien setzen darauf, das Gehirn auf die Festplatte zu übertragen und dabei das Bewusstsein des Sterbenden in Software zu verwandeln. Der amerikanische Futurologe Ray Kurzweil etwa ist überzeugt, dass im Jahr 2045 das Bewusstsein des ersten Menschen auf Festplatte verewigt wird. Dann würden Mensch und Maschine verschmelzen und eine neue, posthumane Zivilisation ihren Anfang nehmen.

Noch weit entfernt

Wird es dem Menschen also nach der Vertreibung aus dem Garten Eden doch noch gelingen, vom Baum des Lebens zu essen? Viele Wissenschaftler setzen grosse Fragezeichen, ob die erträumten Szenarien der Trans- und Posthumanisten jemals Wirklichkeit werden. Die Forscher des Blue Brain Projekt beziehungsweise Human Brain Project an der ETH Lausanne beispielsweise arbeiten seit nun bald 15 Jahren an einem korrekten virtuellen Modell des menschlichen Gehirns. Noch sind sie aber weit davon entfernt, das Gehirn auf dem Computer nachzumodellieren.