Schwerpunkt 26. Oktober 2022, von Constanze Broelemann

«Ich führe jetzt ein Le­ben in Beziehung zu Gott»

Wer hat Angst vor Religion?

Für einige sei der Wechsel zum Glauben exotisch, den Florian Wüthrich in seinem eigenen Leben machte. Er habe aber viel gelernt und sei charakterlich gereift.

Vor zwanzig Jahren machte ich eine Erfahrung, die mein Leben veränderte. Damals musste ich mich Umbrüchen in meinem Leben stellen. Im Beruf war ich geradezu verbissen und setzte alles daran, im Journalismus Karriere zu machen. Doch spirituell war ich auf der Suche. Zaghaft fing ich an zu beten. Ich dachte: «Vielleicht hilft mir ja der Herrgott im Himmel.»

Und dann hatte ich dieses Erlebnis – eine Form von Vision, in der ich Jesus Christus erlebte. Seit diesem Tag war mein Leben auf den Kopf gestellt. Ich führe jetzt ein Le­ben in Beziehung zu Gott. Jesus Christus ist für mich seitdem mehr als die Hauptfigur einer Geschichte im Religionsunterricht.

Ablehnung im Beruf

Ich war so überwältigt von diesem spirituellen Erlebnis, dass ich mein Umfeld von einem Leben mit Jesus Christus überzeugen wollte. Ich lud Bekannte zu Anlässen meiner Freikirche ein. Bis ich dann von einigen die Rückmeldung bekam: «Hey, das ist mir too much.» Für einige ist es geradezu exotisch, wenn man so ei­nen «change» im Leben macht wie ich. Es waren Gerüchte in Umlauf wie: «Mit dem Wüthrich kann man kein Bier mehr trinken.» Was natürlich nicht stimm­te.

Manche Menschen werten es nicht negativ, wenn man sich offen zum Christsein bekennt. Vielmehr wird sogar noch mehr von mir erwartet.

Mein Engagement in der Freikirche stiess auch jemandem im Vorstand des Lokalradios, für das ich damals arbeitete, sauer auf. Man wollte mich daraufhin loswerden, weil ich angeblich in einer «Sekte» war. Für mich war das eine brutale Erfahrung, hatte ich doch längst alle Verantwortung für religiöse Inhalte an meine Stellvertreterin delegiert. Mit einer solchen Ablehnung zurechtzukommen, war für mich wirklich hart. Dennoch konnte ich viel daraus lernen und charakterlich reifen. Heute habe ich klarere Verhältnisse in meinem Job bei einem christlichen Medienwerk.

Wenn sich im Fussballclub nach einem Match ein Gespräch über den Glauben ergibt, gebe ich übrigens gern Auskunft. Manche Menschen suchen zu mir nicht mehr die gleiche Nähe wie einst, andere kontaktieren mich bei bestimmten Themen explizit. Etwa ein Freund, der eine Scheidung durchmachte.

Ein Brückenbauer

Meine Frau und ich engagieren uns derzeit für die Familie unseres Assistenztrainers im Fussballclub. Mit 51 Jahren ist dieser plötzlich verstorben. Ein schwerer Schlag für Frau und Kinder. Zur Unterstützung bringen wir Essen vorbei oder unternehmen etwas mit den Kindern. In der Bibel heisst es: «Schaut zu den Witwen und Waisen.» Das ist für mich gelebtes Christsein. Eine Spra­che, die für sich spricht.

Ich bin Brückenbauer, aktiv in der Freikirche und Mitglied der reformierten Landeskirche. Und aktuell hat man mich als Kommunikationschef des Führungsorgans im Verwaltungskreis Emmental angefragt. «Ihr wisst, dass ich Christ bin?», fragte ich. Niemand legte mir das nachteilig aus. Es hiess: «Das wissen wir schon.» Manche Menschen werten es nicht negativ, wenn man sich offen zum Christsein bekennt. Vielmehr wird sogar noch mehr von mir erwartet. Diesen Anspruch muss ich dann dros­seln.