«Ich merke, dass ich mich nicht so wichtig nehmen muss»

Wer hat Angst vor Religion?

In der säkularen Stadt Bern werde sie oft auf ihren Glauben und ihr Engagement angesprochen, sagt Miriam Albisetti. Sie schätzt die religiöse Vielfalt und das Beten.

Mit dem Glauben bin ich aufgewachsen. Und ich habe nie derart daran gezweifelt, dass ich ihn verloren hätte. In der Schule in Uetendorf und Konolfingen hatte ich biblische Geschichte, ich besuchte die Sonntagsschule, meine Mutter half bei der Organisation der Familiengottesdienste mit, meine Grossmutter war Kirchgemeinderätin.

Hier in Bümpliz kam ich eher über die säkulare Schiene zur Kirch­gemeinde. Diese engagiert sich sehr stark im sozialen Bereich und bietet auch sonst viel Raum für Dinge, die im Alltag der Menschen wenig Platz haben. Man kann einfach hingehen und wird akzeptiert und ernst genommen, wie man gerade ist. Das finde ich sehr wichtig, dafür wollte ich mich engagieren.

Glauben und denken

In einer Religion ist mir wichtig, dass man nicht nur glauben, sondern auch denken darf. Das unterstützt mich bei der Auseinanderset­zung mit existenziellen Fragen. Geht es zum Beispiel um Entscheidungen über Leben und Tod, bin ich ambivalent. Jeder soll selbst über den eigenen Körper bestimmen dürfen, aber ich selbst möchte für mich gewisse Entscheidungen in die Hand Gottes legen können.

Einige finden Religion un­nötig, wenn nicht gar schädlich. An­dere sind daran interessiert, ihr eigenes Wertesystem an dem meinen zu spiegeln.

Da viele Menschen in der Stadt heute keinen Bezug mehr zu Religion haben, werde ich oft auf meinen Glauben und mein Engagement in der Kirche angesprochen, dies mit einer Mischung aus Verwunderung, kritischem Nachfragen, aber auch Interesse. Einige finden Religion un­nötig, wenn nicht gar schädlich. An­dere sind daran interessiert, ihr eigenes Wertesystem an dem meinen zu spiegeln.

In Bümpliz kommt man im Alltag oft mit anderen Religionen in Berührung. Das ist sehr bereichernd. Dass Religion auch Schattenseiten haben kann, sehe ich natürlich auch. Etwa, wenn Jugendliche durch religiöse Zwänge in ihrer persönlichen Entwicklung eingeschränkt werden – was auch im Christentum vor­kommen kann.

Da ich als Präsidentin des Kirchgemeinderats viel kirchlich unter­wegs bin, verzichte ich derzeit am Sonntag meist auf den Gottesdienst, damit wir als Familie zusammen essen können.

Vertrauen als Essenz

Eine Essenz in meinem Glauben ist für mich das Vertrauen. Sehr passend finde ich dazu, was sinngemäss im Hebräerbrief steht: Glauben ist die Zuversicht auf das, was man hofft, und das Vertrauen auf das, was man nicht sieht. Ebenfalls sehr wichtig finde ich die Vergebung: dass man wieder zusammenfindet, um weiterzukommen.Ich glaube, weil ich die Freude an der Schöpfung, die Lebensenergie, die Kreativität von uns Menschen als etwas Göttliches empfinde. Das Vertrauen auf das Gute hilft mir enorm. Dieses Gute ist für mich Gott – andere nennen es vielleicht Schwarmintelligenz.

Und das Beten schliesslich verhilft mir oft zu mehr Gelassenheit. Ich merke, dass ich mich nicht so wichtig nehmen muss. Dass ich nicht alles selbst entscheiden muss, sondern es auch in Gottes Hände legen kann.