Schwerpunkt 26. Oktober 2022, von Hans Herrmann

Wer sich outet, weckt oft Argwohn

Wer hat Angst vor Religion?

Es ist ein Thema mit Kraft im Zwischenmenschlichen: Reden über Religion und die persönliche Haltung dazu. Welche Stolpersteine es gibt und wie Einzelne zu ihrer Ansicht kommen.

«Und Sie – was sind Sie?», wird ein etwas steifer Herr an einer Party gefragt. «Ich bin Christ», antwortet der Gefragte. Darauf sein Gegenüber: «Interessant! Und was macht man da so?» Dieser Cartoon hängt schon seit mindestens zehn Jahren in unserem Büro, und immer, wenn ich ihn zufällig wieder einmal betrachte, frage ich mich: Würden die Leute an einer Party wirklich so gelassen reagieren?

Vielleicht. Ich stelle mir aber eher vor, dass der Fragesteller inner­lich erschrickt und sich dann unter irgendeinem Vorwand so schnell als möglich zurückzieht. Denn das Bekenntnis des anderen zur christlichen Religion befremdet ihn sehr. Unbehagen regt sich, Befürchtungen werden wach.

Was sagt man zu einem, der sich als Christ outet? Der ist doch sicher sehr fromm. Mit dem rationalen Den­ken hapert es bei ihm wo­möglich. Damit ist bei Leuten, die an einen Schöpfergott glauben, beten und die Auferstehung von Jesus für wahr halten, zu rechnen. Und Christen sind doch die, die andere hartnäckig zu bekehren versuchen. Hilfe, nur das nicht!

Nicht selten herrscht gegenüber dem Glauben auch gleichgültige To­leranz: Du darfst gern Christin oder Christ sein, solange du mich damit in Ruhe lässt.

In der Tat reagieren in der heutigen Gesellschaft viele Leute auf Mit­menschen, die sich als religiös bezeichnen, befremdet, skeptisch oder erstaunt. Negative Klischees lösen allerlei Befürchtungen aus. Manchmal schwingen aber auch po­sitive Vorstellungen mit, weil man bei Gläubigen mehr Empathie und soziales Engagement voraussetzt als bei anderen.

Nicht selten herrscht gegenüber dem Glauben auch gleichgültige To­leranz: Du darfst gern Christin oder Christ sein, solange du mich damit in Ruhe lässt.

In diesem Dossier spricht «reformiert.» mit Leuten auf der Strasse über ihre Haltung gegenüber religiösen Menschen. Zur Sprache kommen auch vier Porträtierte – von der gläubigen Kirchgemeinderatspräsidentin bis zum natur­wissenschaftlichen Atheisten. Und im Interview erklärt der Theologe und Sozialphilosoph Michael Bongardt, wie er mit anderen über Religion spricht, weshalb Religion einerseits Privatsache ist und weshalb sie andererseits dennoch in die Gesellschaft hinein­wirken soll.