Schwerpunkt 27. Juli 2020, von Felix Reich

 Wer dabei ist, ist dabei – und basta?

Die Kirchenfernen

Mitglieder, die sich als kirchenfern bezeichnen, haben Wertschätzung statt Vorhaltungen verdient. Denn die Reformierten sind auf ihre Passivmitglieder angewiesen.

Kirchenferne Mitglieder gibt es in der reformierten Kirche eigentlich nicht. Da ist kein erlauchter Zirkel, der die Distanz der Mitglieder zum Zentrum misst. Wer dazugehört, gehört dazu. Punkt.

Viele gute Gründe

Reformierte Christen definieren die Distanz zu Glaubenssätzen, zur Institution Kirche, zur Gottesdienst feiernden Gemeinde selbst. Deshalb ist Vorsicht geboten, wenn jemand anderen Leuten das Etikett «kirchenfern» oder «distanziert» anhängen will. Hier die lebendige, gläubige Kerngemeinde, dort die träge, säkularisierte Masse der Steuererklärungschristen?

Die Gegenüberstellung trieft nicht nur vor Selbstgerechtigkeit, sie zeugt auch von einem seltsamen Kirchenverständnis. Natürlich erschöpft sich Kirche nicht in der Institution, die von den Steuern ihrer Mitglieder lebt. Ist sie keine Gemeinschaft von Menschen mehr, die sich vom Evangelium bewegen lassen, ist die Kirche tot. Aber den Glauben leben kann auch, wer nicht am Gottesdienst teilnimmt.

Der Kirche zugehörig fühlen darf sich auch, wer den Glauben verloren hat. Die Liebe zur geistlichen Musik, die Freude an der Gemeinschaft, Respekt vor diakonischen Leistungen, freiwilliges Engagement, Traditionsbewusstsein oder die Ahnung, dass es einfach gut ist, dass es sie gibt, diese Landeskirche: Es gibt zahlreiche Gründe, Mitglied der Kirche zu sein.

Einfach einmal zuhören

Der Begriff «kirchenfern» mag unscharf und missverständlich sein. Mit Menschen das Gespräch zu suchen, die sich von dieser Bezeichnung gemeint fühlen, ist für die Kirche dennoch unabdingbar. Dabei geht es nicht darum, sie zu vergemeinschaften, sondern sie erzählen zu lassen, so wie es das Dossier von «reformiert.» möchte.

Kirchenfernen zuzuhören, kann ermutigen. Wenn sich zeigt, dass Leute mit ihren Steuern Angebote finanzieren, die sie selbst kaum je in Anspruch nehmen. Menschen, die mit Religion nicht viel anfangen können, aber überzeugt sind, dass Staat und Gesellschaft auf eine starke Kirche angewiesen sind, die für Schwache einsteht und den Dialog mit anderen Religionen sucht. Diese Mitglieder, die sich vielleicht nicht einmal als Christen bezeichnen würden, haben keine Vorhaltungen verdient, sondern Dankbarkeit für ihr solidarisches Mittragen und Wertschätzung für ihre Treue.

Wie Kirchenbilder entstehen

Kirchenfernen zuzuhören, kann ganz schön schmerzen. Manche Mitglieder fühlen sich von der reformierten Kirche nicht vertreten, nehmen sie als zeitgeistig und verpolitisiert wahr oder als konservativ und altbacken. Ihnen gilt es glaubwürdig zu vermitteln, dass die reformierte Vielfalt keine leere Floskel ist, die Reformierten gemeinsam um die Auslegung der biblischen Botschaft ringen und sich zugleich einbringen wollen in die politische und gesellschaftliche Diskussion. Damit muss das Versprechen verbunden sein, dass die Debatte offen, versöhnlich, nicht gehässig geführt wird.

Andere Menschen wiederum haben oder wurden abgehängt. Sie verstehen schlicht nicht mehr, wovon in der Kirche die Rede ist. Mag sein, ihre Wahrnehmung sei von Vorurteilen geprägt, religiösem Halbwissen oder Medienberichten. Der Frage, wie solche Bilder entstehen, sollte sich die Kirche stellen. Die Kirche braucht regelmässig Distanz zu sich selbst.

Distanzen überwinden

Immer wieder versuchen, die Distanz zu überwinden, müssen die Verantwortlichen in der Kirche trotzdem. Die Kirche kann nicht mit ihren Angeboten auf die Menschen warten. Sie muss sich auf sie zubewegen mit offenen Ohren für deren Bedürfnisse. Das Kirchenmitglied, das religiös sozialisiert wurde und dann mehr oder weniger aktiv dabei bleibt, ist ein Auslaufmodell. Religiöse Biografien sind keine Selbstverständlichkeitmehr. Da die Gesellschaft diverser geworden ist, gilt es Angebot und Sprache zu diversifizieren.

Mit Beliebigkeit oder dem oft verächtlich gemeinten Begriff der Dienstleistungskirche hat diese Offenheit nichts zu tun. Vielmehr besinnt sich die Kirche auf ihr Zentrum: Christus. Jesus hat sich nicht allzu oft in geschlossenen Räumen aufgehalten. Er war unterwegs, hat den Menschen von Gott erzählt, sie ermahnt und ihnen vor allem zugehört, sie angenommen, wie sie waren. Der Dienst am Menschen im Licht des Evangeliums, der keine Gegenleistung verlangt, bleibt die Mission der Kirche.