Schwerpunkt 27. Juli 2020, von Thomas Illi

«Ich habe meine eigene spirituelle Welt»

Die Kirchenfernen

Nicolas Lindt liebt Kirchen als Orte, die allen gehören. Seine freien Rituale hält er auch in Kirchen ab.

Gäste empfängt der entfernte Nachfahre des Chocolatiers Rodolphe Lindt gerne in der ehemaligen Fabrik «Bleiche» in Wald. Die Biografie, die er ausbreitet, ist eine Geschichte des Wandels, der Suche nach geistiger und spiritueller Heimat.

Nicolas Lindt war unter anderem: Sonntagsschüler («ja, damals mit dem nickenden Mohr»), Konfirmand (als Einziger ohne Krawatte, mehr ein Akt der Rebellion gegen Konventionen als gegen das Religiöse an sich), Verfasser eines kritischen Leserbriefs im Zürcher «Kirchenboten», in dem er die Art der Gottesdienste sowie die «konservative Haltung der Kirche» kritisierte und der teils empörte Zuschriften zur Folge hatte, Sonntagsschullehrer in Küsnacht, Kommunist, der Kirchenaustrittsformulare in die Briefkästen verteilte, Aktivist der «Bewegung» 1980 in Zürich, «Tagesschau»-Reporter, politischer Konvertit, Gerichtskolumnist, Esoteriker, Anthroposoph und schliesslich Pionier der «freien Trauung».

Niemanden ausschliessen

Mittlerweile hat Nicolas Lindt, der als Schriftsteller und Ritualgestalter mit seiner Familie in Wald lebt, seinen Weg gefunden, in eine «eigene, selbst empfundene spirituelle Welt», eine «Welt hinter der Welt», in der es vor allem «um die Liebe geht, die niemanden ausschliesst». Gerne hält er seine Rituale auch in Kirchen ab, wenn er darf. Denn Nicolas Lindt liebt «Kirchen als Orte, als Kulturgut, das allen gehört».

Gelegentlich besucht Lindt eine Kirche. Er zündet eine Kerze an und schätzt die meditative Stille im Kirchenraum, den er von der Institution völlig trennt. Das Wort «Gott» kommt in seinen Ritualen nicht vor, auch kein Unservater, weil er niemanden ausschliessen will.

Dennoch gab es immer wieder Berührungspunkte. Oft waren es persönliche Begegnungen. Und die Urnenbeisetzung von Lindts verstorbener Mutter gestaltete ein reformierter Theologe: Andrea Marco Bianca, Zürcher Kirchenrat und Pfarrer in Küsnacht.