Spezial 07. August 2020, von Constanze Broelemann

Menschen für die Mission

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Neue Crewmitglieder stossen zur «Sea-Watch 4»: Barbara von «Ärzte ohne Grenzen» und Tamino von Airbone Operations. Beide sind jung und überzeugt von dem, was sie machen.

An diesem heissen Sommerabend ist viel los in der Werft von Burriana. Insbesondere vor der «Sea-Watch 4». Neue Crew-Mitglieder sind angekommen und das Team von «Ärzte ohne Grenzen» ist auch da. Der Schriftzug «medicines sans frontieres» (MSF) an der Wand des Schiffes darf nun offiziell enthüllt werden und mein Kollege macht Fotos. Dass die bekannte Organisation neu mit Sea Watch kooperiert, ist ein gute Nachricht.

Blog Seenotizen

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Im August 2020 läuft das mit kirchlichen Spenden finanzierte Seenotrettungsschiff «Sea-Watch 4» zu seiner ersten Mission aus. Die «reformiert.»-Redaktorin Constanze Broelemann ist für reformiert.info und evangelisch.de an Bord und berichtet vom Schiff in ihrem Blog «Seenotizen».

www.reformiert.info/seenotizen

Ich treffe Barabara Deck aus Canada. Sie kommt gerade aus Amsterdam, wo sie ein paar Tage Ruhe nach ihrem sechsmonatigen Einsatz in Syrien hatte. Nun will die Krankenschwester den Einsatz ihrer Organisation «Ärzte ohne Grenzen» an Bord der «Sea-Watch 4» koordnieren.

«Ich bin noch nicht ganz angekommen», entschuldiget sich die 32-Jährige und sammelt sich zum Interview in der Abendsonne Spaniens. Auf die Frage, in welchen Zuständen sie die Geflüchteten erwarte, nennt sie: schwangere Frauen, Menschen, die durch die Lybier Gewalt erfahren haben, chemische Verbrennungen und auch Fälle von Covid-19. Letzgenanntes Virus, das die ganze Welt nach wie vor in Atem hält, bezeichnet Barbara als «big challenge». Aber man sei vorbereitet, versichert sie mir. Infektionskontrollen werden Standard sein und an Bord wird es einen Bereich geben, in dem Menschen mit dem Virus isoliert werden können. Die Krankenstation an Bord sei sehr gut ausgestattet.

Hannah Wallace Bowman, die Pressesprecherin von MSF, die ebenfalls mit uns allen an Bord sein wird, erklärt mir, warum die Organisation nun mit Sea Watch und nicht länger mit der zivilien Seenotrettung, SOS Mediteranee kooperiert. «Unser Ziel ist es, an der Front zu helfen». Und in dem Fall ist die Sea Watch schneller wieder im Einsatz auf dem Meer und daher interessanter für die MSF, sagt sie mir.

Kirchliches Engagement

Die Idee eines kirchlichen Seenotrettungsschiffs im Mittelmeer geht auf den evangelischen Kirchentag in Dortmund 2019 zurück. Finanziert wurde es vom Bündnis «United4Rescue». Im Januar 2020 ersteigerte das Bündnis das Schiff für 1,3 Millionen Euro, darunter 1,1 Millionen Euro Spendengelder des Bündnisses, dem mittlerweile über 500 Organisationen und Unternehmen angehören.Die Evangelische Kirche Deutschland hatte zu Spenden für das Schiff aufgerufen, bei denen sich auch die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz und die Schweizer Bischofskonferenz beteiligten.

Das ehemalige Forschungsschiff war am 20. Februar in Kiel getauft worden. Nach den ursprünglichen Plänen sollte das Schiff schon zu Ostern in See stechen. Dann machten aber die Einschränkungen wegen der Corona-Epidemie dem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung.

Die «Sea-Watch 4» kann etwa 300 Flüchtlinge an Bord unterbringen. Bei akuten Notfällen können es für kurze Zeit aber auch bis zu 900 sein. 26 feste und ehrenamtliche Mitarbeiter aus mehreren europäischen Ländern sind auf den jeweils vierwöchigen Einsätzen dabei. Es wird auf dem Schiff unter anderem einen Schutzbereich mit 24 Betten speziell für Frauen und Kinder geben und eine Krankenstation, die zwei Behandlungsplätze umfasst.

Der junge Mann, der half das Logo der «Ärzte ohne Grenzen» an der «Sea-Watch 4» zu enthüllen, heisst Tamino Böhm. Gemeinsam mit seiner spanischen Kollegin Marta Sarralldi ist er für ein paar Tage in Burriana, um persönlich mit der Crew der «Sea-Watch 4» und den Crews der anderen zivilen Seenotretter zu sprechen, die ebenfalls mit ihren Schiffen in Burriana vor Anker liegen.

Der 28-jährige Tamino ist Head of Mission bei den Airbone Operations. Das heisst, er fliegt mit bei den Aufklärungsflügen die «Moonbird» und «Seabird». Diese Flugzeuge unterstützen die Arbeit der NGO's auf dem Meer erheblich. Aus der Luft beobachten Tamino und sein Team, was im zentralen Mittelmeer, in den Such- und Rettungszonden der Europäer und auch der Lybier passiert. Dann meldet das Team die Seenotfälle den zuständigen Behörden und Schiffen in der Nähe. «Wir sind die Augen für alle», sagt er.

Eine 90-prozentige Aufklärungsquote könnten sich die Aibone Operations auf die Fahnen schreiben. Die Piloten für das Aufklärungsflugzeug «Moonbird» organisiert und stellt die schweizerische «Humanitarian Pilots Initiative» (HPI).

Sea Watch

Sea Watch e.V. ist eine Non-Profit-Organisation, die zivile Such- und Rettungseinsätze im europäischen Mittelmeer durchführt. Der Verein fordert und forciert Rettung von Menschen durch staatliche europäische Institutionen. Sea Watch will sichere und legale Fluchtwege (#SafePassage) und Bewegungsfreiheit in offenen europäischen Gesellschaften, die sich zur Solidarität bekennen. Finanziert wird die Arbeit des Vereins ausschliesslich durch Spenden.

In montalichen Protokollen (factsheets) der Airbone Operations kann ich nachlesen, was im Januar und Februar 2020 und dann wieder im Juni alles auf dem zenttalen Mittelmeer passiert ist (zwischenzeitlich mussten die Flugzeuge Covid-bedingt am Boden bleiben). Auf einer Seekarte sehe ich eingekreiste Gummiboote mit und ohne Menschen, aber auch «bodies», also Leichen, die gesichtet wurden.

Allein im Januar dieses Jahres sind etwa 500 Menschen in «distress cases», also in Seenot, auf dem Mittelmeer geraten; die Meisten in überladenen Gummibooten und ohne Rettungswesten. Wie so oft konnten einige von den NGO-Schiffen gerettet werden und andere wurden von der so genannten lybischen Küstenwache nach Lybien und damit in gewaltsame Zustände - so wurde mir berichtet - zurückgebracht. Ein Fall schildert gar, dass die maltesische Küstenwache erst 18 Stunden nach Eingang eines Notrufes mit der Rettung der Menschen aus Seenot begonnen hat.

Ein gewisser Zynismus in der Formulierung schlägt mir entgegen, wenn ich am Ende der Protokolle (factsheets) der Airbone Operations die jeweiligen «Highlights» der Mission lese: «Die tödlichen Konsequenzen der europäischen Migrationspolitik, das Nicht-Helfen europäischer Staaten bei der Rettung, sondern vielmehr diese der so genannen lybischen Küstenwache zu überlassen, die Beteiligung der europäsichen Küstenwache Frontex an den push-backs nach Lybien und die Relevanz der zivilen Seenotrettung, um Menschenleben zu retten.»

Mir wird berichtet, dass die Europäer konsequent die (so genannte) lybische Küstenwache mit der Infrastruktur ausstatten, damit diese die Meeresflüchtlinge zurück in das afrikanische Land bringt.

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