Wie haben Sie es mit der Religion, Frau Brunner?
Ich bin ein sehr gläubiger Mensch. Ich glaube, dass es eine höhere Macht gibt, und sie gibt mir Halt. Ich schlafe abends nicht ein ohne zu beten und bete auch am Tag. Ich bedanke mich, oder bitte um Hilfe, wenn es mir nicht gut geht. Mein Ansprechpartner ist der «liebe Gott». Ich stelle ihn mir als lieben Mann vor. So habe ich das als Kind gelernt, auch wenn man sich kein Bildnis machen sollte. Letztes Jahr bin ich aus der katholischen Kirche ausgetreten. Es werden immer wieder neue Missetaten aufgedeckt und am schlimmsten finde ich, dass zu wenig dagegen gemacht wird.
Sie singen immer mal wieder Gospel-Songs und treten in Kirchen auf.
Das Spirituelle hat für mich grundsätzlich eine grosse Bedeutung und ich glaube an die Kraft der Musik. Singen in einer Kirche ist schön, auch wegen der Akustik. Gospel hat eine positive Kraft, die seiner Geschichte entspringt. Schwarze Menschen schufen den Gospel aus ihrer Not heraus. Die Gesänge gaben ihnen in Zeiten der Sklaverei ein Stück Freiheit zurück. Diese befreiende Kraft spüren auch Weisse, wenn sie Gospel singen. Gospel vermittelt Hoffnung. Darum singe ich ihn gerne.
Als Entertainerin bringen sie die Leute zum Lachen. Was bedeutet es Ihnen, anderen Menschen Freude zu bereiten?
Das ist der Kern meines Lebens und mein grösster Verdienst. Neunzig Prozent der Menschen, die einen Auftritt von mir besuchen, sind danach glücklicher als davor. In den letzten Jahren trat ich oft in Altersheimen auf. Dabei traf ich unter anderem demente Menschen, die zu Beginn des Auftritts teilnahmslos und mit hängenden Köpfen dasassen. Doch dann öffneten sie sich und am Schluss schauten sie mir in die Augen.
Die schillernde Bühnenwelt wird oft als oberflächlich angeschaut. Wo erleben Sie darin Tiefe?
Genau in solchen Momenten. Ein Beispiel: Eine Frau begleitete seit sie fünf Jahre alt war ihre Mutter, eine alleinerziehende Alkoholikerin, an meine Auftritte. Mit vierzig sagte sie zu mir: «Ich musste immer für mein Mami schauen. Der einzige Moment, in dem ich ein Kind und fröhlich sein konnte, war, als ich mit ihr an deine Konzerte kommen konnte.» Diese Geschichte schüttelt mich noch heute durch.
Zum fünften Mal werden Sie ab Oktober wieder im Mundarttheaterstück «Die kleine Niederdorfoper» zu sehen sein. Welche der rund 600 vergangenen Aufführungen ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Ich singe in meiner Rolle ein Lied, mit dem ich das Kind Ruthli, in der ersten Aufführung gespielt von Viola Tami, auf eine liebe Art vor den Finten der Männer warnen will. Einmal fiel mir die erste Strophe nicht ein. Darum reimte ich – ohne eine Miene zu verziehen und mit den gleichen Bewegungen wie sonst – eine Strophe lang einfach Blödsinn aneinander. Das Ruthli starrte mich an, wie das Mäuschen die Schlange und musste sich zusammennehmen, dass es nicht lacht. Es war sehr absurd. Die zweite Strophe kam dann wieder perfekt. Viola Tami und ich konnten uns danach hinter der Bühne kaum mehr erholen vor Lachen.
Als pensionierte Prominente äussern Sie sich immer wieder öffentlich über das Alter. Was ist Ihr wichtigster Rat fürs Alter?
Die Gesundheit so gut wie möglich zu bewahren. Denn dann kann man immer noch alles machen. Ich achte auf die Ernährung, die Bewegung und darauf, dass ich Menschen um mich habe, die nicht nur noch über ihre Gebrechen, sondern auch über anderes sprechen. Positiv in die Zukunft zu blicken ist wichtig. Ich freue mich über jeden Tag, obwohl nicht alles am Altern toll ist. Aber es geht allen gleich. Ich liebe diesen Kalenderspruch: «Man muss keine Angst haben vor dem Älterwerden. Man kann es immer noch lustig haben, aber einfach langsamer.» Da ich nicht mehr im harten Wettbewerb bin, kann ich auch alles etwas ruhiger nehmen. Und wenn mir jemand nicht passt, kann ich das auch sagen.