Recherche 10. Juli 2018, von Constanze Broelemann

Die Kirche im Zeitalter der schnellen Medien

Kirchenbund

Die Wahl für das Ratspräsidium war hart umkämpft. Gewinner und Verlierer ziehen Lehren aus der Debatte.

Die Wahlen für das Ratspräsidium des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK) am 17. Juni in Schaffhausen waren mit Spannung erwartet worden. Entsprechend gross war das Medieninteresse. Am Ende setzte sich Amtsinhaber Gottfried Locher mit 43 von 67 Stimmen durch. Seiner Herausforderin Rita Famos war es nach der Wahl wichtig, ihr Anliegen vorgebracht zu haben: «Gut zuhören, was die Menschen beschäftigt, ist die Basis erfolgreichen Führens.» Deshalb wünschte sie Locher «hellhörige Ohren und Gottes Segen». Trotz der Niederlage habe sich ihre Kandidatur gelohnt, sagte die Pfarrerin, die in der Zürcher Landeskirche die Abteilung für Spezialseelsorge leitet. «Ich habe eine interessierte und vitale Kirche erlebt.»

Der Wahl ging in Schaffhausen eine emotionale Debatte voraus. Der Zürcher Kirchenratspräsident Michel Müller warf Locher vor, jede Möglichkeit zum direkten Gespräch verhindert zu haben. «Wenn die Kirche tatsächlich in so einer grossen Krise ist, wie Locher das behauptet, muss man sich fragen, warum ausgerechnet jene Person bleiben sollte, die seit acht Jahren an der Spitze ist», sagte Müller und forderte den Präsidenten auf, gar nicht mehr zu kandidieren. Er empfahl ihm ein Berner Landpfarramt.

Wieder mehr Kirche erleben

Gottfried Locher selbst zeigte sich nach seinem Wahlsieg erleichtert. Auf die Frage, ob er in den letzten Monaten einmal Rücktrittsgedanken hatte, sagte er: «Nicht wirklich, da waren zu viele Männer und Frauen, die sich hinter und vor mich gestellt haben. Allein wegen dieser Menschen war immer klar: Wir stehen das gemeinsam durch.»In der neuen Legislatur will Locher wieder mehr Austausch: «Die Verfassungsrevision hat mich stark an den Schreibtisch gebunden. Ich möchte weniger über Kirche sprechen und selber wieder mehr Kirche erleben, darauf freue ich mich.»

Inbesondere in den sozialen Medien war Locher in den Monaten vor der Wahl für seine Aussagen über die Ursachen der Prostitution kritisiert worden, die er in einem Buch machte, das Josef Hochstrasser 2014 über ihn schrieb. An der Abgeordnetenversammlung kamen die Vorwürfe erneut auf den Tisch. Auch Unterstützerinnen Lochers nahmen darauf Bezug. «Ich will einen Präsidenten, der auch mal provoziert und uns aufrüttelt», sagte Ursula Stämmer (Luzern). Und Barbara Damaschke (St. Gallen) verwies auf die Motion, die sie vor zwei Jahren aufgrund der Sexismusvorwürfe eingereicht hatte. Der überwiesene Vorstoss fordert, dass eine Arbeitsgruppe sich «dem Themenkomplex Familie, Ehe, Partnerschaftund Sexualität aus evangelisch-reformierter Sicht» annimmt. «Damit wurde das Thema Sache des Rates.» Locher habe sich nicht mehr erklären dürfen. Michel Müller hingegen empfindet es als «sehr gesucht», die Sexismusvorwürfe mit der Motion zu verknüpfen. «Sie sind noch längst nicht vom Tisch.»

Für Damaschke kam die Kandidatur von Rita Famos zu kurzfristig. Die Kritik am Ratspräsidenten habe eine Eigendynamik angenommen: «Wir als Abgeordnete konnten uns gar nicht mehr äussern und grundsätzliche Fragen zur Sprache bringen.» Der Kirchenbund müsse sich überlegen, wie er seine Informationen kommuniziere, damit sie ausserhalb der Gremien ankämen. Die Stimmen aus den sozialen Medien nimmt Damaschke ernst. Dieses Medium biete die Chance zu einer weiteren Demokratisierung der Kirche.