«Sing Halleluja to the Lord», hallte es im Juni durch das Regierungsviertel von Hongkong. Tausende von Christinnen und Christen hatten sich wochenlang zu Mahnwachen versammelt. Auch an der Demonstration am 16. Juni, als zwei Millionen Menschen ihren Protest auf Hongkongs Strassen trugen, wurde von vielen, die in ihrem Leben noch nie eine Kirche betreten haben, das Lied angestimmt.
Die Episode zeigt, wie das Christliche in der Demokratiebewegung mitschwingt. Vordergründig wird um das Gesetzesvorhaben gestritten, das juristisch Auslieferungen auch nach Festlandchina erlauben soll. Vor allem geht es aber um die Freiheit Hongkongs, das 2047 zur ganz normalen chinesischen Stadt wird. Denn die bei der Übergabe der britischen Kronkolonie ausgehandelten Sonderrechte wie Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit sind dann Makulatur.
«Hongkong ist nicht China»
Die Uhr tickt also und genau am 1. Juli, am 22. Jahrestag der Übergabe, demonstrierten erneut Hunderttausende. Hunderte von Verzweifelten stürmten das Parlament und sprühten die Parole an die Wand: «Hongkong ist nicht China».
Empört trat Carrie Lam, die Regierungschefin des Stadtstaates, vor die Mikrofone und verurteilte den Vandalismus. Studentenführer Joshua Wong, Mitglied der protestantischen Kirche TTM, die einst von der Basler Mission gegründet worden war, erinnerte sie prompt daran, dass die Regierung Hongkongs nicht demokratisch gewählt sei.
Tobias Brandner, der als Gefängnisseelsorger und Hochschullehrer seit 22 Jahren in Hongkong lebt, betont: «In der ungewöhnlichen Militanz spiegelt sich die Verzweiflung von Menschen, die trotz Protests die leidvolle Erfahrung machten, dass Lam zu keinem einzigen echten Zugeständnis bereit war.» Der Mitarbeiter von Mission 21 weist auf ein Graffito im gestürmten Parlament hin: «Du, Carrie Lam, hast uns gelehrt, dass mit friedlichem Protest nichts zu erreichen ist.»
Brandner war bereits vor fünf Jahren mit seinen Studierenden dabei, als die Regenschirm-Bewegung fast drei Monate die City blockierte. Sie protestierten gegen das Wahlsystem, das prochinesischen Politikern automatisch den Sieg garantierte. Damals ging ein Riss durch die Kirchen. Viele öffneten die Kirchentüren, damit die Demonstranten Tränengas und Gummischrot entkommen konnten. Andere appellierten, die chinesische Dominanzzu akzeptieren. «Heute sind die Kirchen klar gegen das Auslieferungsgesetz», sagt Brandner.
Christen auf beiden Seiten
Auffällig war 2014, dass neben Joshua Wong auch zwei der prominenten Führer der Regenschirm-Bewegung Christen waren, einer davon war Baptistenpfarrer. Ein ähnliches Bild zeigt sich aber auch an den Schalthebeln der Macht: In der Regierung wie unter höheren Beamten finden sich viel mehr Christen, als es in einer Stadt, in der sich jeder siebte Einwohner zu Jesus Christus bekennt, zu erwarten wäre.
Der Grund dafür ist in der Stadtgeschichte zu suchen. Mit der Unterstützung der Briten gründeten christliche Missionare Schulen und Colleges, die sich bis heute grosser Popularität erfreuen. Interessant: Carrie Lam, die praktizierende Katholikin geblieben ist, besuchte -eine franziskanische Schule.
Die prochinesische Chefin des Stadtstaates schafft den Spagat, zwei Herren zu dienen, während immer mehr Christen die entscheidende Frage umtreibt: Wird die Religionsfreiheit 2047 noch gelten, wenn die Frist für völkerrechtlich garantierte Freiheitsrechte ausläuft? Das Engagement der Christen ist somit vor dem Hintergrund der Religionsfreiheit zu sehen, die mit der repressiven Politik des autoritären KP-Führers Xi Jinping in Festlandchina immer mehr beschnitten wird.
Hongkongs Turbulenzen bestätigen dem Regime, wie politisch explosiv Religion ist. Brandner sagt dazu: «Wenn dann in der Halleluja-Hymne Jesus Herr über Himmel und Erde ist, dann stellt dies die Autorität der kommunistischen Partei in China infrage.»