Erhoffen Sie sich durch den Schulterschluss eine grössere Wirkung auf die Politik?
Gottfried Locher: Ja, ich glaube, die politische Wirkung ist grösser, wenn wir Einheit demonstrieren. Wir setzen ein starkes Zeichen, dass es uns nicht nur um die eigene Religionsgemeinschaft geht, sondern dass wir Flüchtlingen religionsunabhängig Schutz anbieten wollen. Zudem spricht der Schweizerische Rat der Religionen in verschiedene Glaubensgemeinschaften hinein, die achten sehr genau darauf, ob ihre eigene Vertretung beteiligt ist. So erzielen wir auch in der Gesellschaft eine breitere Resonanz.
Ihre Forderungen, etwa die vermehrte Unterstützung internationaler Organisationen oder Resettlement-Programme bedeuten auch höhere Ausgaben des Bundes. Wie hoch fallen diese Mehrkosten aus?
Der Rat der Religionen ist keine politische Organisation. Er sagt, was aus seiner Sicht notwendig ist in der Flüchtlingspolitik und fordert die Politik dazu auf, diese Not zur Kenntnis zu nehmen. Die finanziellen Mittel und ihr konkreter Einsatz müssen dann unter Einbezug der politischen Kräfte ausgehandelt werden. Wir werden uns dann sicherlich dazu äussern, ob wir mit dem Ergebnis einverstanden sind.
Wie optimistisch sind sie, dass der Bund tatsächlich aktiv wird und auch mehr Gelder zur Verfügung stellt?
Die Vize-Nationalratspräsidentin Marina Carobbio Guscetti hat die Erklärung entgegen genommen, ich habe schon den Eindruck, dass die Politik sich der Sache annehmen wird und schaut, was als nächstes umgesetzt werden kann.
Auch die Religionsgemeinschaften verpflichten sich in der Erklärung zur vermehrten Unterstützung verschiedener Projekte. Was heisst das für die reformierte Kirche?
Es gibt konkrete Konsequenzen, auch für uns. Die reformierte Kirche existiert auf drei Ebenen, der Gemeinde, der Kantonalkirche und auf nationaler Ebene mit dem Kirchenbund. Letzterer hat die Seelsorge in den Bundesasylzentren deutlich verstärkt, wir geben jährlich hunderttausende Franken für eine möglichst nahe Begleitung von Asylsuchenden aus. Die Abgeordnetenversammlung hat erst jüngst wieder die Weiterführung dieser Arbeit bewilligt und signalisiert, dass diese Arbeit zur Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat gehört.
In der Erklärung fordern die Religionsgemeinschaften die dauerhafte Einführung von Resettlement-Programmen. In welchem Umfang stellen Sie sich diese Programme vor und wer könnte davon profitieren?
Diese Forderung ist in der Erklärung tatsächlich sehr allgemein formuliert. Der Kirchenbund setzt sich seit Jahren für Kontingente ein, daran halten wir fest. Welche Menschen schliesslich davon profitieren, liegt bei den Bundesbehörden, mit denen wir uns regelmässig austauschen.
Gewisse Forderungen, etwa eine Ausweitung des Familiennachzugs könnte in der Gesellschaft die Angst vor religiöser Überfremdung weiter schüren. Können Sie derartige Ängste nachvollziehen?
Ja, das können wir. Ich glaube auch nicht, dass man ohne Kriterien entscheiden kann. Wir sehen es aber als unsere Aufgabe an, diesen Ängsten die Ängste der Menschen auf der Flucht gegenüber zu stellen. Über die konkreten Konsequenzen entscheidet dann die Politik.
Was ist für Sie persönlich eine christliche Haltung zur Migration?
Wer auf der Flucht ist, der geht ja nicht freiwillig, er lässt sein Hab und Gut zurück, weil etwas Schreckliches passiert ist. Wer als Flüchtling in so einem reichen Land wie der Schweiz anklopft, muss erst einmal Schutz finden. Dann wird überprüft, ob es sich wirklich um einen Flüchtling handelt, also um eine Person, die die Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention erfüllt.
Bei der Unterzeichnung der Erklärung sagten Sie, Sie seien stolz, dass die Erklärung zu Stande gekommen ist. War das eine schwierige Geburt?
Nein, in der Sache nicht, die war unumstritten. Aber ich sehe die Erklärung als Frucht eines Vertrauens, das über die Jahre im Rat der Religionen gewachsen ist. Dieses Vertrauen bedingt viel Vorarbeit.
Interreligiöser Dialog ist ein eher abstrakter Begriff. Hat die Arbeit für ein so konkretes Ziel wie diese Erklärung die Zusammenarbeit im Rat der Religionen verändert?
Das werden wir sehen. Mein Eindruck ist: Ja. Vertrauen wächst insbesondere durch Projekte, bei denen nicht nur gesprochen wird, sondern bei denen am Ende etwas Greifbares entsteht.
Sie haben in Ihrer Rede den Anschlag auf eine jüdische Synagoge in Pittsburgh und den aufflackernden Antisemitismus verurteilt. Beschäftigt das Thema den Rat?
Der Anschlag muss Thema an der nächsten Sitzung sein. Herbert Winter, der Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes, weist immer wieder darauf hin, dass sich die Juden auch in der Schweiz nicht mehr sicher fühlen. Nun ist Gottseidank bislang hier nichts Schwerwiegendes passiert. Aber wir müssen darauf hinweisen, dass eine Gefahr besteht und dass wir alles, was wir tun können auch tun müssen, um dem Antisemitismus entschieden zu begegnen.