Mehr als sechs Millionen Menschen haben seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine am 24. Februar Februar ihr Land verlassen. Von den Geflüchteten wurden bisher 50'553 Menschen in der Schweiz aufgenommen. Christine Schraner Burgener, Leiterin des Staatssekretariats für Migration SEM, die den zweiten Tag des Schweizer Asylsymposiums eröffnet, ist zufrieden. «Die Schweiz hat sich an der Seite Europas, den Herausforderungen dieser grössten Fluchtbewegung seit dem zweiten Weltkrieg gestellt. Und ich finde, wir haben es recht gut gemacht.»
Krieg in der Ukraine als Game-Changer für die Asylpolitik
Seit dem Krieg in der Ukraine läuft vieles anders in der Flüchtlingspolitik. Beim Asylsymposium am 19. und 20. Mai wird über den richtigen Umgang mit Schutzsuchenden diskutiert.
Die Länder Europas hätten geeint gehandelt, betont die Staatssekretärin des SEM weiter. «Damit haben wir alle dazu beigetragen, dass alle Schutzssuchenden aus der Ukraine rasch und unbürokratisch mindestens ein Dach über dem Kopf haben.» Auch sei es Russland nicht gelungen, Europa durch die vielen Geflüchteten zu destabilisieren. «Dem Versuch, Migration als Druckmittel und Menschen als Verhandlungsmasse einzusetzen, müssen wir auch weiterhin entschieden entgegentreten.»
An der Fachtagung in Bern, die gemeinsam von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) und dem UNHCR Büro für die Schweiz und Liechtenstein organisiert wird, treffen sich Fachleute aus Politik, Wissenschaft und Praxis. Sie diskutieren Fragen rund um den Zugang zu Schutz für Flüchtlinge und den entsprechenden Herausforderungen, Perspektiven und Lösungen.
Der solidarische Umgang mit den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine zeigt, was möglich ist, wenn der politische Wille vorhanden ist. Ein rasches und entschlossenes Handeln der Politik wäre aber auch andernorts gefragt, meint Anja Klug, Leiterin des UNHCR-Büros für die Schweiz und Liechtenstein. «Es darf kein Zwei-Klassen-System entstehen. Flüchtlinge müssen überall gleichberechtigt Zugang zu Schutz haben.» Und Klug kritisiert, die Solidarität mit den Menschen aus der Ukraine könne nicht verdecken, dass der Flüchtlingsschutz weltweit und auch in unserem Land unter Druck sei.
Laut Angaben des SEM wurden im April 2022 in der Schweiz 1268 Asylgesuche eingereicht, 45 weniger als im Vormonat (-3,4 %). Gegenüber April 2021 ist die Zahl der Asylgesuche um 418 gestiegen. Wichtigste Herkunftsländer waren Afghanistan und die Türkei. Am 12. März 2022 hat der Bundesrat erstmals den Schutzstatus S zur Aufnahme schutzbedürftiger Menschen aus der Ukraine aktiviert. Im April wurde 22 965 geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer der Schutzstatus S erteilt. 114 Personen wurde er verweigert, weil die Kriterien nicht erfüllt waren.
Die Schweiz sei in der Asylpolitik im Vergleich zur internationalen Praxis grundsätzlich gut aufgestellt; in einigen Aspekten habe sie gar eine Vorreiterrolle. So das Fazit einer Studie im Auftrag des UNHCR, die die Autorin Stephanie Motz vorstellt. «Einige Kriterien sind jedoch nicht mit internationalen Standards vereinbar, was sehr problematisch ist», führt die Juristin aus. In der Umsetzung der Genfer Flüchtlingskonvention, welche die Schweiz 1954 ratifiziert habe, zeigten sich erhebliche Probleme.
So müssten Asylsuchende in der Schweiz etwa nachweisen, dass die ernsthaften Nachteile in ihrer Heimat gezielt und individuell gegen sie gerichtet seien. Dieses Kriterium sei international überholt und müsste dringend aufgehoben werden, so Motz. «In diesem und weiteren Punkten ist die Schweiz nicht bereit die allgemein gültigen Kriterien einzuhalten. Was vielen Menschen verunmöglicht, hier dauerhaft Schutz zu finden.»
Auch Staatssekretärin Schraner Burgener zeigt sich selbstkritisch. «Die Krise macht deutlich, dass ein Weiterwursteln wie bisher keine Lösung sein kann», betont sie. Europa habe ein vitales Interesse, die aktuelle Einigkeit angesichts der russischen Invasion zu nutzen, um längst nötige Reformen in der Asylpolitik umzusetzen. «Und auch wir in der Schweiz müssen engagiert bleiben, uns aktiv einbringen. Gerade dann, wenn es uns nicht passt.»