Recherche 19. September 2023, von Cornelia Krause

Ökumenisches Netzwerk kritisiert Ausschaffungen

Migration

Kroatiens Asylsystem steht in der Kritik. Nach Flüchtlingsorganisationen will nun auch das ökumenische Netzwerk Migrationscharta.ch, dass die Schweiz auf Asylgesuche eintritt.

Als Pfarrerin am Offenen St. Jakob hat Verena Mühlethaler häufig mit Geflüchteten zu tun. Auch mit solchen, denen laut Dublin-Abkommen Ausschaffungen drohen, etwa nach Kroatien. «In der Seelsorge begegnen mir immer wieder Geflüchtete, die nach ihrer Ankunft dort Gewalt erlebt haben», sagt sie und berichtet von einer kurdischen Familie aus der Türkei, deren Kinder zuschauen mussten, wie kroatische Polizisten dem Vater mit Gewalt die Fingerabdrücke abnahmen. «Die Kinder sind seitdem traumatisiert.»

Im Juli reiste Mühlethaler mit einer Delegation des Netzwerks Migrationscharta.ch nach Zagreb, um mit Hilfsorganisationen, der Kirche und Vertretern der Schweizer Botschaft Gespräche zu führen. Danach stellte das Netzwerk Forderungen: Der Bund solle von Rückschaffungen nach Kroatien absehen und auf Asylgesuche eintreten. Knapp 400 Personen leben laut dem Staatssekretariat für Migration (SEM) in der Schweiz und sollen definitiv nach Kroatien ausgeschafft werden. 

Zweifel an der medizinischen Versorgung

Diverse Flüchtlingsorganisationen fordern einen Stopp von Rückführungen nach Kroatien, auch wegen Berichten über Pushbacks, bei denen Geflüchtete mit Gewalt am erstmaligen Grenzübertritt gehindert werden. Migrationscharta.ch begründet seinen Standpunkt mit der Überforderung des Asylsystems, das sich noch im Aufbau befinde und derzeit überrannt werde. «Die Menschen dort erzählten, dass Befragungen teils durch nicht ausgebildete Polizisten stattfanden, sie nicht über ihre Rechte informiert wurden und die Übersetzung mangelhaft war», sagt Mühlethaler. Dies zeige sich auch an einer relativ tiefen Asylanerkennungsquote. 

In seinem Bericht prangert das Netzwerk «systemische Mängel» im Asylsystem an. Zweifel hegt es auch mit Blick auf die medizinische Versorgung bei besonderen Bedürfnissen. Im Zentrum der Debatte steht das Dublin-Abkommen, das die Zuständigkeit bei Asylanträgen regelt. Grundsätzlich soll der Staat den Antrag prüfen, in dem der Geflüchtete erstmals registriert wird. Doch ein Land kann in Ausnahmefällen auch selbst ein Verfahren durchführen. Etwa bei «systemischen Mängeln» im anderen Staat.

Angebot zur Unterstützung

Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, bietet das ökumenische Netzwerk an, die Integration von Betroffenen in der Schweiz mithilfe der kirchlichen Infrastruktur und Freiwilligen zu unterstützen. Mühlethaler hofft auf eine «Welle der Solidarität» in den Kirchgemeinden, ähnlich wie seit Beginn des Ukraine-Kriegs. Mitte September wird die Gruppierung beim SEM vorstellig. Die Aussichten auf Erfolg dürften allerdings gering sein.

Erst im Frühjahr urteilte das Bundesverwaltungsgericht, dass Rückführungen nach Kroatien zulässig sind. Das Gericht ging unter anderem davon aus, dass Pushbacks in erster Linie Flüchtlinge beim ersten Grenzübertritt betreffen. Mitte Juli reiste die SEM-Chefin Christine Schraner Burgener persönlich nach Zagreb. Sie räumte ein, dass das kroatische Asylwesen wegen der steigenden Flüchtlingszahlen unter Druck stehe, bekräftigte jedoch die Praxis der Rücküberstellungen. Das SEM will Strukturen vor Ort stärken – etwa durch Unterstützung eines Unicef-Zentrums. 

Unbefriedigende Differenz

Beim SEM heisst es, weder das Staatssekretariat noch das Bundesverwaltungsgericht gehe von systemischen Schwachstellen in Kroatiens Asylsystem aus. «Eine Aussetzung von Überstellungen ist daher nicht angezeigt.» Auch werde jeder Fall einzeln geprüft. Bis Ende Juli ging die Schweiz in laufenden Jahr auf 53 Selbsteintrittsgesuche ein, 117 Personen wurden ausgeschafft.

Die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS) teilt auf Anfrage mit, es sei «unbefriedigend», dass Behörden und Flüchtlingsorganisationen die Lage in Kroatien so unterschiedlich beurteilten. Sie will sich den Forderungen der Migrationscharta.ch nicht anschliessen und verweist auf mangelnde Kompetenz, um das kroatische Asylwesen abschliessend zu beurteilen. Mit dem Angebot, bei der Unterbringung von Flüchtlingen zu helfen, sei sie inhaltlich «völlig einverstanden». Die Kirchgemeinden und kirchliche Gruppen setzten sich vielfältig für Geflüchtete ein. Jedoch könnten weder die EKS noch das Netzwerk Migrationscharta.ch die Kirchgemeinden auf die Wahrnehmung gesellschaftspolitischer Aufgaben verpflichten.