Sie sind jetzt eine knappe Woche am ökumenischen Gipfeltreffen in Karlsruhe. Wie haben Sie diesen Grossanlass bisher erlebt?
Rita Famos: Intensiv und auf unterschiedlichen Ebenen: Da ist zum einen der offizielle Versammlungsteil. Hier wird versucht, all die Themen, die von 350 Kirchen aus der ganzen Welt eingebracht werden in ein Schlussdokument zu bringen. Die Delegierten müssen Prioritäten setzen, damit am Ende des Treffens eine tragfähige Schlusserklärung verabschiedet werden kann. Darin wird festgehalten, bei welchen Themen sich die Kirchen bis zur nächsten Vollversammlung in acht Jahren besonders engagieren wollen. Das ist sehr anspruchsvoll. Auf der anderen Seite pflegen wir hier die informellen Kontakte, die sehr bereichernd und wichtig sind für unsere Kirchenbeziehungen. Und die dritte Ebene bilden die gemeinsamen Gebetszeiten, die schlicht inspirierend und ein geistliches Erlebnis sind.
Welche Themen standen bisher am ÖRK im Fokus?
Die Klimakrise ist eines der Hauptthemen. Es sind viele junge Menschen am Treffen, weil die Kirchen aufgefordert waren, junge Delegierte zu entsenden. Jung heisst übrigens am ÖRK unter 30-jährig. Diese jungen Menschen aus der ganzen Welt fordern ein, dass wir die Verantwortung für die Schöpfung wahrnehmen. Der Palästina-Konflikt steht ebenfalls auf der Agenda. Weil der ÖRK dieses Mal in Europa stattfindet, ist der Krieg in der Ukraine ein dominantes Thema. Aber auch das Thema Rassismus oder Forderungen der indigenen Völker werden von Betroffenen eindrücklich eingebracht.
Es sind sowohl eine Delegation der russisch-orthodoxen als auch der ukrainisch-orthodoxen Kirche hier. Wie haben Sie dieses Zusammentreffen erlebt?
Die Russen sind immer noch da – was nach der deutlichen Kritik von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an der Eröffnungsfeier nicht selbstverständlich ist. Die russische Delegation musste sich – zu recht – erhebliche Kritik anhören, weil das Moskauer Patriarchat diesen Krieg theolgisch rechtfertigt. Bundespräsident Steinmeier war sehr direkt und hat den Russen Blasphemie vorgeworfen. Inhaltlich fand ich die Schärfe seiner Ansprache angebracht. Ich hätte es allerdings begrüsst, wenn Steinmeier nicht nur die ukrainische Delegation willkommen geheissen hätte, sondern auch die russische.
Haben Sie mitbekommen, ob die beiden Delegationen ausserhalb des offiziellen Programms Kontakt haben?
Ja, das haben sie. Bemerkenswert finde ich, dass die beiden Delegationen bis vor drei Jahren ja noch in der gleichen Kirche waren. Die Leute kennen sich, haben teilweise miteinander studiert. Also sitzen sie am Abend auch zusammen und trinken ein Bier. Mir wurde von verschiedener Seite bestätigt, dass inoffiziell einiges läuft. Dass hinter den Kulissen dieser Kontakt besteht, dass sie miteinander sprechen, das wird hier wahrgenommen, und das ist ein Hoffnungsschimmer.
Am ÖRK scheint also die inoffizielle Ebene ein zentraler Teil zu sein.
Ja, es ist wichtig, was bei all den inoffiziellen, zum Teil spontanen Kontakten passiert. Gestern setzte sich beispielsweise beim Mittagessen eine Südkoreanerin zu mir und erzählte mir von ihrem Einsatz für die Wiedervereinigung Koreas. Am Abend sprach ich mit der Moderatorin der presbyterianischen Kirche Malawi und deren Kampf gegen Korruption. Heute hatten wir im SwissHub ein Gespräch mit zwei Vertretern aus Libanon. Da eröffnen sich buchstäblich Welten. Und man spürt hier den Reichtum und das Potenzial der Kirche. Alle stehen wir vor Herausforderungen. Die einen kämpfen mit Mitgliederschwund und der zunehmenden Säkularisierung, die anderen arbeiten in Kriegs- und Krisengebieten. Und in vielen Teilen der Welt – zum Beispiel in Asien – wachsen die christlichen Gemeinden.
Wo wird die liturgische Arbeit der Kirchen hier in Karlsruhe sichtbar?
Etwas, das mich hier extrem begeistert sind die gemeinsamen Morgenandachten mit den Glaubenden aus aller Welt. Hier kommen alle liturgischen und musikalischen Traditionen zusammen. Die weltweite Gemeinschaft vor Gott ist unmittelbar erlebbar. Sowohl Musik als auch Texte sind vom ÖRK-Gottesdienstteam sehr sorgfältig ausgearbeitet.