Schwerpunkt 25. Februar 2022, von Bettina Gugger

Auf allen Heimwegen mit Gott unterwegs

Heimweg

Er ist sowohl im deutschen Nürnberg als auch im bündnerischen Castiel zu Hause: Der Theologe Jörg Lanckau pendelt zwischen zwei unterschiedlichen Welten.

Jörg Lanckau schlendert zu seinem Audi-Cabrio, das vor den Büros der Bündner Landeskirche in Chur steht. Dazu zieht er an seiner elektrischen Zigarette. Es ist 16 Uhr. Der Theologiekurs, den er leitet, war bis zum letzten Platz voll. Lanckau öffnet die Wagentür und steigt ein.

Der Himmel ist blau. Die Sonne hat braune Flecken in die Schneedecke gefressen, die noch bis vor Kurzem die umliegenden Berge bedeckte. Das warme Licht macht Hoff­nung auf Frühling. Auch wegen dieser Nähe zur Natur nennt Lanckau das Bündnerland seine Heimat. Er deutet zum Calanda: «In meiner Zeit als Pfarrer in Untervaz bin ich jedes Jahr mit meinen Konfirmanden hochgestiegen.» Das war von 2002 bis 2012. Seit 2013 ist er Studiengangsleiter an der Evange­lischen Hochschule in Nürnberg. Da sein schulpflichtiger Sohn wieder bei ihm lebt, verbringt Lanckau mehr Zeit in Deutschland als im bünd­nerischen Castiel, wo er seit fünf Jahren wohnt.

Zeit zum Nachdenken

Der Professor der Theologie, der in der Schweiz als reformierter Pfarrer ordiniert wurde und nun auch in Nürnberg in der Evangelisch-Lu­therischen Kirche in Bayern arbeitet, wirkt aber nicht gestresst. Er deutet auf sein Cabrio, mit dem er den Heimweg meistens zurücklegt: «Damit bin ich schon 320'000 Kilometer gefahren.» In den vier Stunden Autofahrt von Graubünden nach Nürnberg hört er oft Hörbücher des Philosophen und Publizisten Ri­chard David Precht. Oder die Verkehrsmeldungen am Radio.

Jörg Lanckau, 52

Jörg Lanckau, 52

Er studierte evangelische Theologie in Halle/Saale, Basel und Leipzig und ist Professor für Biblische Theologie.

Er hat nie das Gefühl, auf dem Weg Zeit zu verlieren. Manchmal denkt er dabei über Probleme nach oder bereitet Unterrichtseinheiten vor. Und ist, trotz des Achtgebens auf den Verkehr, «einfach da». Nun steuert er seinen Wagen durch die Churer Altstadt, an der Regulakirche vorbei, auf die Arosa-Strasse.

Jörg Lanckau ist eingebürgerter Schweizer. In Nürnberg verstehe er sich eher als Auslandschweizer denn als Deutscher, sagt er. Das Pendeln zwischen den Ländern habe den Vorteil, aus Distanz über das andere Land nachdenken zu können. Ein letzter Blick über die Stadt Chur; der Weg wird schmaler, rechterhand fällt die Felswand steil ab.

Leben als Heimkommen zu Gott

Ist das Leben ein Heimkommen zu Gott? «Im Sinne des Gastseins auf Erden sicher.» Lanckau verortet Gott aber nicht einzig im Jenseits. «Gott geht immer mit, ist an keinen Ort gebunden», erklärt er. Diese Erfahrung hätten bereits die Israeliten im babylonischen Exil gemacht. So bedeuten für ihn selbst denn auch die Menschen und weniger ein bestimmter Ort Heimat. «Ich erkenne mich in den Augen von anderen», zitiert er den Religionsphilosophen Martin Buber.

Die Berge liegen im letzten Sonnenlicht. Jedes Mal, wenn Lanckau in Castiel ankommt, geniesst er den Blick auf das Aroser Weisshorn von Neuem.