Wenn Hasib Jaenike seine schwarze Filzkappe aufsetzt, taucht er ein in eine andere Welt. In jene der Märchen, wo Menschen dank Zauberstiefeln mit einem Schritt sieben Meilen überwinden können. Und wo sieben Geisslein um den Brunnen tanzen, um den Tod des bösen Wolfs zu feiern.
Hasib Jaenike ist Märchenerzähler und tritt zum Beispiel bei Hochzeiten, Firmenfesten oder Weiterbildungen auf. Das Aufsetzen der Kappe gehört als Einstiegsritual zu seiner Erzählkunst vor dem Publikum. «Danach ist nichts mehr alltäglich, dann beginnt der Zauber der Märchen zu wirken», führt der Psychologe aus.
Magische Vorstellungen
In dieser märchenhaften Wirklichkeit spielt die Zahl Sieben eine herausragende Rolle. «Sie ist in vielen Märchen präsent», bestätigt Hasib Jaenike, der mit seiner Frau Djamila Jaenike im Trachselwald BE die Märchenschule Mutabor betreibt. Grundsätzlich stehe die Sieben in der abendländischen Kultur für vollkommene Einheit, erklärt er.
Dass sie in Märchen so häufig vorkomme, habe damit zu tun, dass die Zahl auch in magischen Vorstellungen des Volksglaubens wichtig gewesen sei. Auf bereits existierende Erzählungen aus diesem Umfeld griffen die Brüder Grimm wohl zurück, als sie von 1812 bis 1857 ihre berühmte Märchensammlung herausgaben. Die Siebenmeilenstiefel etwa sind ein magischer Gegenstand, der seinem Träger Zauberkräfte verleiht.
Hasib Jaenike weist darauf hin, dass in orientalischen Varianten des Märchens mit einem Schritt in den Zauberstiefeln bis zu hundert Meilen überwunden würden. «Das zeigt, dass die Bedeutung von Zahlen kulturell unterschiedlich ist.»
Im grimmschen Märchen der Sieben Raben macht es sich ein Mädchen zur Aufgabe, seine sieben Brüder zu befreien, die durch eine Verwünschung des Vaters in Raben verwandelt wurden. Der Vater hatte sich noch ein Kind – die spätere Tochter – gewünscht, obwohl er schon sieben Söhne hatte. Jaenike: «Die Siebnerzahl zeigt: Der Mann hatte alles. Trotzdem wollte er mehr. Er erliegt seiner Gier.»
Schutz hinter sieben Bergen
Laut Märchenforschern weise die Sieben auch auf Erlösung und Rettung hin. Etwa bei Schneewittchen, die hinter sieben Bergen bei sieben Zwergen Schutz und Hilfe findet. Jaenike ist überzeugt: «Märchen tun den Menschen gut.»
Seine Liebe dafür hat einen biografischen Hintergrund. Der gebürtige Deutsche musste als Sechsjähriger nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Familie aus den deutschen Ostgebieten flüchten. Als Besitz blieb ihm nur ein Märchenbuch. «Ich hütete es wie einen Schatz und lernte damit lesen», erzählt er. Viel später, als er als Psychologe in Deutschland eine neue Herausforderung suchte, besann er sich auf seine alte Leidenschaft und machte sie zum Beruf.
Heute gilt er als Märchenexperte und wundert sich, dass viele Leute in der Schweiz ihren eigenen reichen Märchenschatz nicht kennen. Etwa das Bündner Märchen «Die Geschichte von einem, der nicht gerne arbeitete». Um zu Wohlstand zu gelangen und seine Angebetete heiraten zu können, hat ein Mann eine spezielle Aufgabe zu erfüllen: Er muss auf einem Bärenfell schlafen und darf sich weder die Haare noch den Bart schneiden, noch die Kleider wechseln – ganze sieben Jahre lang.