Bach, Mozart, Brahms, Liszt: Ich liebe ihre Musik. Sie ist tief empfunden, vielschichtig und ausgefeilt. Als mich einmal ein Zufallsbekannter im Zug während einer lockeren Plauderei wissen liess, dass auch er «Klassik» möge, horchte ich auf und hoffte auf einen anregenden Austausch über unsere gemeinsame Vorliebe. «Und, was hörst du denn so?», fragte ich gespannt. «Richard Clayderman», sagte er, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich hingegen, ich zuckte. Innerlich nur, dafür umso peinlicher berührt.
Wie banausenhaft, diese schmalzige, schnulzige Verballhornung klassischer Meisterwerke auf dem Konzertflügel als «Klassik» zu bezeichnen! Ich lenkte das Gespräch schleunigst auf ein anderes Thema.
Klassiker im Fleischwolf
Schon bald jedoch packte mich das schlechte Gewissen. Wer im Glashaus sitzt, der soll nicht mit Steinen werfen. Auch meine Musiksammlung enthielt nämlich zwei Alben von Richard Clayderman.
Ich höre sie gelegentlich noch heute, und es gab eine Zeit, in der ich sie heiss liebte, in meinen frühen Zwanzigern. In jener Lebensphase also, in der das Gemüt für Romantik und Weltschmerz besonders empfänglich ist. Als Clayderman 1978 mit der verschmusten, pseudoklassischen «Ballade Pour Adeline» berühmt wurde, war auch ich hin und weg, und als er dann die echten Klassiker zu verwursten begann, Beethoven, Liszt und Schumann, verzieh ich es ihm.
Und zu verzeihen gab und gibt es viel. Clayderman reduziert die Klavierstücke grosser Komponisten auf die eingängigen Teile, beraubt sie der musikalischen Komplexität. Seine pianistischen Schwelgereien sind unterlegt mit süsslichen Streicherarrangements, zu denen sich auch noch Schlagzeug und Elektrobass im Slowdance-Modus gesellen.
Einfach unerträglich. Wenn es nur nicht so unerträglich schön wäre. Schön ohne Tiefgang, ohne Aufregung, ohne Erschütterung, ohne Posaunenschall und Paukenwirbel. Schönheit um der Schönheit willen. Kitsch in Reinkultur. Bitte sehr, ich mag Kitsch.