Ein Kunstwerk aus Kindertagen

Dass aus mir nicht der neue Giacometti werden würde, war bereits im Werkunterricht absehbar. Eine bleibende Erinnerung aus dieser Schaffensperiode ist eine… Figur? Skulptur? Das Werk wurde aus einer Art porösem Stein gemeisselt. Laut Kollegen, die ähnliche Jahrgänge haben wie ich, muss es sich dabei um Ytong-Stein handeln. Sie arbeiteten nämlich in der Schule auch mit diesem Material.

Die Skulptur ist nach meiner Schulzeit nicht einfach in den Tiefen eines Kellers verschwunden, wo sie gut aufgehoben gewesen wäre. Nein! Sie ist noch immer in meinem Elternhaus ausgestellt. Auf einem Eckmöbel im Wohnzimmer, gut sichtbar für sämtliche Besucherinnen und Besucher. Als mein Mann den Steinklops zum ersten Mal sah, konnte er nicht fassen, dass meine Eltern das Ding nie weggeräumt hatten.

Ich glaube, die Skulptur sollte ursprünglich ein Meerschweinchen darstellen. Als Kind hatten meine Schwester und ich Meersäuli als Haustiere, die wir sehr gern hatten. Diese standen wohl in meiner Fantasie Modell. 

Ich glaube mich auch zu erinnern, dass die Arbeit mit Hammer und Meissel an diesem Stein schwieriger war als gedacht und ich nicht sehr talentiert. Deshalb passte ich das Ziel meines künstlerischen Schaffens im Laufe des Prozesses an. 

Ein Meerschweinchen hätte feiner gearbeitet sein müssen, also sagte ich am Ende, das Werk sei ein Nilpferd. Für die Öhrchen und den Schwanz des Tiers hatte ich wohl keine Geduld mehr – deshalb nahm ich Papier, Schere und Leimstift zu Hilfe.

Meerschwein, Nilpferd. Ach was, sagte mein Arbeitskollege, als er das Foto des Tiers sah. «Das ist definitiv ein Capybara!» Er hat recht. Ohne dieses riesige Nagetier als Kind gekannt zu haben, habe ich das südamerikanische Wasserschwein perfekt getroffen. Hätte das zu dieser Zeit nur jemand erkannt. Dann wäre ich heute nicht Journalistin, sondern Bildhauerin. Und die Skulptur stünde nicht in einem Wohnzimmer, sondern in einem Museum.