Recherche 04. November 2020, von Felix Reich

«Ich will Brücken bauen in die Romandie»

Kirche

Die frisch gewählte EKS-Präsidentin Rita Famos über den Frust in der Romandie, orthodoxe Patriarchen und den emotionalen Abstimmungskampf über die Konzernverantwortungsinitiative.

Indem Sie Ihre Dankesrede in Französisch begannen, sendeten Sie ein Signal über den Röstigraben hinweg. Wie tief ist er in der EKS?

Rita Famos: Ich spüre eine grosse Enttäuschung in der Romandie. Viele haben den Eindruck, die Wahlen seien durch ein deutschschweizerisches Powerplay entschieden worden. Aber eigentlich ist die Westschweiz mit zwei Mitgliedern gut im Rat vertreten. Ich werde das Gespräch mit den französischsprachigen Kirchen suchen und helfen, dass die wichtigen Impulse, welche die sie für die Deutschschweiz haben, wirklich ankommen.

Zuerst steht für Sie Integrationsarbeit an?

Brücken zu bauen in die Romandie, ist mir ein wichtiges Anliegen. 

Sie waren vier Jahre Präsidiumsmitglied der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Schweiz. Helfen diese Kontakte der Ökumene?

Gute persönliche Kontakte erleichtern Gespräche gerade dann, wenn man sich nicht einig ist. Abgesehen davon sollten Bischofskonferenz und EKS vermehrt zeigen, dass sie in vielen Fragen am gleichen Strick ziehen. Zugleich darf die Ökumene nicht von Freundschaften abhängig sein. Ich will keine Hinterzimmer-Ökumene, sondern transparente Beziehungen zu unseren Schwesterkirchen.

Im Abendmahl bleiben Katholikinnen und Reformierte getrennt. Schmerzt Sie das oder wird das Problem überschätzt?

Stärker ins Blickfeld nehmen sollten wir all das, was wir bereits teilen. Das ist aus reformierter Sicht ja das Zentrum des Glaubens: die Verkündigung im Wort. Aber natürlich schmerzt, dass die katholische Kirche noch nicht einmal die eucharistische Gastfreundschaft offiziell gewährt. Sie wäre vor allem für die Mitglieder an der Basis wichtig, wo die konfessionellen Grenzen oft durch Ehen und Familien gehen.

Bischofskonferenz und EKS sollten vermehrt zeigen, dass sie in vielen Fragen am gleichen Strick ziehen.

Wenn ein orthodoxer Patriarch zum Empfang lädt, dürfen oft nur Männer das Wort ergreifen. Gehen Sie trotzdem hin?

In der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen habe ich gut mit orthodoxen Würdenträgern zusammengearbeitet. Ich fühlte mich als Präsidentin respektiert. Offensichtlich gab es bei den Orthodoxen zuletzt eine konservative Wende. Klar ist, dass wir eine Kirche sind, in der die Frauen das Wort ergreifen, und die sich dafür einsetzt, dass es die Frauen in anderen Kirchen auch tun dürfen.

Sie werden nicht der Diplomatie zuliebe einen Stellvertreter zum Patriarchen schicken?

Ich würde hingehen und schauen, was passiert. Vorschnell kuschen dürfen wir als reformierte Kirche nicht.

Sie haben mit Ihrer Konkurrentin Isabelle Graesslé die Hearings gemeinsam absolviert vor den Wahlen. Haben Sie etwas gelernt von ihr?

Gute Frage. Die Ruhe, die sie bei ihren Auftritten ausstrahlte, hat mich beeindruckt. Sie ist eine sehr spannende Theologin und Kirchenfrau. Wir haben bereits für ein gemeinsames Abendessen in Zürich abgemacht. Ich bin froh, dass sie mit 25 Stimmen ein respektables Resultat gemacht hat.

An der Synode vollzog die kleine Église Évangelique Libre de Genéve ihren Austritt. Nach dem Ja der EKS zur Ehe für alle ein konsequenter Schritt oder ein bedauerlicher Verlust für die Kirchengemeinschaft?

Ich bedaure den Austritt. Wir müssen nicht nur mit sprachlichen Minderheiten, sondern auch mit theologischen Minoritäten sorgfältig das Gespräch suchen. Das ist in diesem Fall offensichtlich nicht gelungen.

Wir müssen nicht nur mit sprachlichen Minderheiten, sondern auch mit theologischen Minoritäten sorgfältig das Gespräch suchen.

Wenn Sie in der NZZ lesen, die EKS nehme mit Ihnen im Vergleich zu Vorgänger Gottfried Locher in Kauf, dass sie «gegen aussen an Schlagkraft verliert»: Nervt Sie das?

Das nervt mich schon. Vielleicht könnten auch Journalisten mit Urteilen warten, bis ich überhaupt im Amt bin. Sie könnten sich noch wundern.

Aber angekündigt haben Sie, dass Sie Positionsbezüge zuerst im Rat diskutieren wollen. Werden Interviews mit Ihnen ein bisschen langweilig, weil Sie sich nicht festlegen?

Nein. Tatsächlich gibt es grundsätzliche Fragen, in denen eine Abstimmung mit dem Rat nötig ist. Aber das dauert ja nicht ewig, Videokonferenzen sind erfunden. Zugleich ist es völlig klar, dass es gerade in Krisensituationen meine Aufgabe ist als Präsidentin, mich hinzustellen und auch einmal etwas ungeschützt zu sagen.

Nicht wirklich geeint tritt der EKS-Rat im hitzigen Abstimmungskampf zur Konzernverantwortungsinitiative auf, auch in den Landeskirchen wird heftig gestritten. Ist der Sturm am Abstimmungssonntag ausgestanden oder bleiben Scherben zurück?

Im Moment muss man den Sturm tatsächlich aushalten. Der Abstimmungskampf wird emotional geführt. In der Politik genauso wie in der Kirche. Wenn ich im Amt bin, möchte ich den Weg zum Positionsbezug im Rat und zusammen mit den Kirchenpräsidien analysieren. Es war nicht das erste und wird nicht das letzte Mal sein, dass die Kirche Position bezieht. Diesmal hat sich die Minderheit gewehrt und organisiert.

Haben auch die Befürworter mit den Transparenten an Kirchen und Kirchgemeindehäusern übersteuert?

Ich befürworte, dass sich die Kirche positioniert hat. Aber solche Mittel gehen mir persönlich zu weit. Sie sind zu plakativ. An Gottesdiensträume gehören keine politischen Parolen. Was ich aber sehr gut finde, sind all die Abstimmungspodien, die in den Kirchgemeinden stattfinden. Das zeugt von einer lebendigen Kirche.

An Gottesdiensträume gehören keine politischen Parolen.

Der Graben zwischen Kirche und Wirtschaft scheint tiefer geworden zu sein. Dabei wären Protestantismus und Liberalismus historisch eigentlich Geschwister.

Das Erbe ging auf beiden Seiten verschüttet. Die reformierte Kirche könnte stärker betonen, dass auch wirtschaftliche Prosperität und Eigenverantwortung wichtig sind. Zugleich sollten die Wirtschaftsliberalen die gesamtgesellschaftliche Verantwortung stärker betonen. Wichtig scheint mir, dass wir vom Generalverdacht gegen das Unternehmertum wegkommen. Viele Firmen wirtschaften erfolgreich und nehmen dennoch ihre soziale Verantwortung wahr.

Wird das EKS-Präsidium auch in Zukunft eine PR-Agentur an seiner Seite haben?

Das EKS-Präsidium wird eine starke Kommunikationsabteilung an seiner Seite haben. Natürlich brauche ich in meinem Amt kommunikative Unterstützung, aber diesen Support werde ich mir intern holen.

Rita Famos (54)

Am 2. November wurde Rita Famos von der Synode zur Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) gewählt. Sie tritt die Nachfolge von Gottfried Locher an, der Ende Mai zurückgetreten war. Seit 2013 leitet Rita Famos die Abteilung für Spezialseelsorge der reformierten Landeskirche des Kantons Zürich. Die Pfarrerin wurde 1993 durch die Berner Kirche ordiniert und war danach 18 Jahre lang als Gemeindepfarrerin in Uster und Zürich tätig. Acht Jahre politisierte sie in der Zürcher Synode, 2011 wurde sie in den Rat des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds (SEK) gewählt. Bis 2014 blieb sie im Rat und war Präsidiumsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen der Schweiz. Bereits 2018 kandidierte sie für das Präsidum des SEK.