Glaube 10. Juni 2024, von Felix Reich

Das Ass im Ärmel

Diakonie

Die Kirchgemeinde Zürich hat dem Sozialwerk Pfarrer Sieber neben der Kirche Glaubten ein neues Zuhause gebaut. Der Zusammenzug unterschiedlicher Angebote ermöglicht Flexibilität.

«Alles zurücklassen, einnisten, billig wird teuer, kaputt wird ganz.» Diese Worte stehen in Schreibmaschinenschrift auf dem Bild eines transparenten Hauses, auf ein Tapetenmuster geklebt.

Das Werk hängt im Raum, den die Kunsttherapie des Sozialwerks Pfarrer Sieber (SWS) neu bezogen hat. Die Bilder erzählen von den gemischten Gefühlen jener Menschen, die ihr Zuhause an der Konradstrasse mitten in Zürich verlassen und im Gebäude, das die Kirchgemeinde Zürich neben der Kirche Glaubten gebaut hat, einziehen.

Neben dem Fachspital Sune-Egge finden betreutes Wohnen mit 35 Plätzen sowie die Geschäftsleitung und Administration Platz. Die Gewerberäume entlang der lärmigen Wehntalerstrasse hat die Kirchgemeinde an ein Karatestudio und eine Kinderkrippe sowie eine Personalvermittlungsfirma vermietet. 

Die Kirchgemeinde investiert 27 Millionen Franken und amortisiert die Summe durch Mieterträge. Das SWS bezahlt den Innenausbau, der 13 Millionen Franken kostet, durch zweckgebundene Legate.

Christus eröffnet neue Räume

Am 9. Juni wurde das Haus mit einem Gottesdienst eingeweiht. In seiner Predigt betonte Andreas Käser, reformierter Seelsorger beim SWS, wie wichtig ein Zuhause für Menschen sei. Das Zuhause, welches das Sozialwerk bieten will, habe offene Türen. «Doch Türen müssen manchmal geschlossen werden dürfen», sagte Käser. Auch Christus sei eine Tür: «Er stellt sich uns in den Weg und eröffnet einen neuen Raum.» Den Gottesdienst gestaltete er zusammen mit Manuel Amstutz, Pfarrer im Kirchenkreis elf.

Eine ehemalige Patientin des Sune-Egge erzählte im Gottesdienst von ihrer Zeit im Spital. «Zum ersten Mal im Leben hat mir jemand versprochen, dass ich nicht mehr auf die Gasse zurückmuss, egal was geschieht.» Inzwischen hat sie in einem betreuten Wohnangebot einen Platz gefunden. Dennoch trage sie den Sune-Egge wie ein «Ass im Ärmel» mit sich: «Sollte ich wieder einmal in Not sein, weiss ich: Hier habe ich eine Familie.»

Die Architekten

Das Architekturbüro Schneider Studer Primas aus Zürich ist beim Projekt Neubau Glaubten-Areal zuständig für Architektur und Planung. BGS & Partner Architekten aus Rapperswil verantwortlich für das Baumanagement.

Zwei Tage vor der Eröffnung fand die Medienorientierung statt. SWS-Gesamtleiterin Friederike Rass betont während der Hausbegehung, dass im Fachspital, das insbesondere auf Wundbehandlung und die Langzeitpflege von Suchtkranken spezialisiert ist, jene Menschen behandelt werden können, «bei denen das System versagt».

Immer nimmt das Werk den ganzen Menschen in den Blick: mit seiner Seele und seiner Geschichte, den psychischen und physischen Leiden. Durch das Zusammenführen vieler Angebote gewinnt das Sozialwerk an Flexibilität. Die Übergänge von der Pflege zum betreuten Wohnen können den Bedürfnissen der Betroffenen entsprechend gestaltet werden.

Die Kirche auf der Gasse

Das Sozialwerk Pfarrer Sieber erhält 200 000 Franken aus dem Innovationskredit der reformierten Landeskirche, um eine Gassenkirche aufzubauen. Den gleichen Betrag steuert die katholische Kirche bei. Eine ökumenische Trägerschaft soll eine Gemeinde für und mit Menschen aufbauen, deren Lebensmittelpunkt die Gasse ist und die in traditionellen Kirchgemeinden keinen Anschluss finden. Neben der Seelsorge steht die Entwicklung neuer liturgischer und spiritueller Formen im Mittelpunkt. Zudem kann mehr Zeit für die theologische Begleitung auf­gewendet werden.

Die Liegenschaft an der Konradstrasse behält das SWS. Neu entsteht Wohnraum für Menschen, die zurück in die Selbstständigkeit finden. Ohnehin bleibt das Werk in ganz Zürich mit seiner Gassenarbeit, den Notschlafstellen und der Sozialberatung präsent.