Seelsorger Andreas Käser hält seine Predigt im Raucherraum. Er spricht zu einer kleinen, sehr ehrlichen Gemeinde. Wer etwas nicht versteht oder unglaubwürdig findet, meldet sich zu Wort. Käser erzählt die Geschichte von General Naaman, der unter seiner Rüstung des Erfolgs den Aussatz versteckt.
Gegen die Not der Einsamkeit
Das Sozialwerk Pfarrer Sieber hat in Zusammenarbeit mit den Landeskirchen auf der Strasse eine Gemeinde gegründet. Die Gassenkirche ist ein Experiment gelebter Theologie.
Aufsuchende Kirche
Die Andacht im Neubau, in dem das Fachspital Sune-Egge, therapeutische Einrichtungen und Wohnangebote sowie die Administration untergebracht sind, zeigt im Kleinen, was das Sozialwerk Pfarrer Sieber zusammen mit den beiden Landeskirchen in Zürich aufbaut: die Gassenkirche.
Gottesdienste, Abendmahlsfeiern oder Abschiedsrituale sollen nicht mehr allein in Gebäuden stattfinden, sondern dort, wo die Menschen sind: auf der Strasse, in provisorischen Räumen.
Die reformierte Kirche unterstützt das Projekt mit 200 000 Franken aus dem Innovationskredit. Gleich viel steuert die katholische Kirche bei. Nach einer dreijährigen Pilotphase soll die Gassenkirche in tragfähige Strukturen überführt werden.
«Wenn man will, wird man eine Lösung finden», sagt Mathias Burri von der Abteilung Kirchenentwicklung. So bekam etwa das Flughafenpfarramt eine ökumenische Trägerschaft, die Streetchurch ist Teil der Kirchgemeinde Zürich geworden.
Aus der Isolation führen
160 Stellenprozente sind für die Gassenkirche vorgesehen. Um Doppelstrukturen zu vermeiden, soll sie der Seelsorger des Sozialwerks Pfarrer Sieber leiten.
Während die Seelsorge auf Einzelgespräche fokussiert, hat die Gassenkirche die «Stiftung von Gemeinschaft und Integration isolierter Menschen» im Blick, wie es im Konzept heisst, das «reformiert.» vorliegt.
Raum für Versöhnung
Treibende Kraft hinter der Gassenkirche ist Friederike Rass. Für die Gesamtleiterin des Sozialwerks gibt es für die Gassenkirche eine doppelte Notwendigkeit. Einerseits habe Ernst Sieber das Werk immer als Gemeinde geführt.
«Was wir tun, steht auf dem theologischen Fundament der Kirche.» Andererseits eröffne die Gassenkirche einen Raum der Versöhnung, mit sich selbst ebenso wie mit anderen Menschen. «Hier wird nur miteinander geredet und nicht übereinander», sagt die Theologin.
Dass die Gassenkirche nötig ist, weiss Andreas Käser aus Seelsorgegesprächen: «Die Einsamkeit ist auf der Strasse enorm.» Zugleich hätten die Menschen derart viele Verlusterfahrungen erlitten, dass die Angst vor Zurückweisung die Integration erschwere. «In der Gassenkirche können wir herausfinden, was nötig und möglich ist», sagt Käser.
Die Menschen, welche die Gassenkirche im Blick hat, finden zu den Angeboten der Kirchgemeinden kaum Zugang, die Schwellenängste sind zu gross. Mathias Burri spricht deshalb von der Notwendigkeit «verschiedener Gemeinschaften, in denen sich die Plausibilität des Evangeliums zeigen kann».
Wunder ermöglichen
General Naaman wird vom Aussatz geheilt (2 Kön 5,14). Nicht durch das pompöse Ritual, das er verlangt hat, sondern indem er die Rüstung auszieht und in den Jordan taucht. «Sich so zeigen, wie man ist, kann Wunder bewirken», sagt Andreas Käser.
Als er das Unservater betet, breitet sich auf den Gesichtern hinter den Rauchschwaden eine andächtige Ruhe aus. Die Möglichkeit der grossen und kleinen Wunder eröffnen, durch Christus heil werden, sich angenommen wissen: Das will die Gassenkirche.