Der Kreis schliesst sich: Am Samstag fand zu Ehren des an Pfingsten verstorbenen Pfarrers Ernst Sieber eine grosse Erinnerungsfeier auf dem Platzspitz statt. Hier, hinter dem Landesmuseum, leistete Sieber in den 80er und 90er Jahren einen beispiellosen Einsatz für die Drogensüchtigen. Hier entschied er auch, seine Stiftung Sozialwerke Pfarrer Sieber zu gründen. Rund 3000 Menschen aus der ganzen Schweiz kamen bei Sonnenschein friedlich zusammen – darunter viele, die «die Hölle auf Erden», wie der Platzspitz oft genannt wurde, selber miterlebt hatten.
«Sie waren seine Freunde und nicht etwa seine Klienten», sagte Christoph Zingg, Gesamtleiter der Sieberwerke, in seiner Eröffnungsrede. Er erinnerte daran, dass auch heute noch viele Süchtige aus dem System fallen und alleine sind, auch wenn die Drogenpolitik dank Ernst Sieber menschlicher geworden ist. Auch in Zukunft lasse die Stiftung von Sucht, Armut und Einsamkeit Betroffene nicht allein, sondern sei weiter ganz im Sinn und Geist des verstorbenen Ehrenpräsidenten für sie da. Geradezu symbolisch für dieses Versprechen gab es für alle Anwesenden gratis Speis und Trank. «Lasst euch verwöhnen», so Zingg.
Kirche mitten im Elend
Die Institution Suneboge, eine Wohn- und Arbeitsgemeinschaft im niederschwelligen Suchtbereich, verteilte gelbe Luftballons mit der Botschaft: «Mis Dach isch de Himmel von Züri.» Für Stimmung und Emotionen sorgten Musikerinnen und Musiker wie Andrew Bond und Toni Vescoli mit der Sieber Band. Etienne Conod, ein langjähriger Weggefährte von Pfarrer Sieber, sang den «Pfuusbus-Blues» – der ausgediente Sattelschlepper auf dem Albisgüetli, der Obdachlosen in der kalten Jahreszeit ein Dach über dem Kopf bietet, lag Sieber ganz besonders am Herzen. Einen ganz persönlichen Song über «den Pfarrer» performte Sozialdiakon Marcel Bürgi, der selber lange drogenabhängig war. Dazwischen kamen auf dem Rondell Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Kirche zu Wort; einige von ihnen hatten bereits einige Tage zuvor an der offiziellen Trauerfeier im Grossmünster gesprochen.
Kirchenratspräsident Michel Müller würdigte den Verstorbenen eindrücklich in seiner Funktion als Pfarrer. Als einen, der – zuweilen durchaus stur – stets nach seinem Gewissen handelte, im Gehorsam einzig und alleine gegenüber Jesus Christus, so wie es jeder Pfarrer eigentlich tun sollte. Sieber habe dem Beruf ein überzeugendes Gesicht gegeben. «Ich bin darum stolz, ein Pfarrkollege zu sein.» Wie Jesus raus aus den Mauern und Tempeln ging, habe er sich auf den Weg zu den Schwächsten gemacht, die gemütliche Stube verlassen. Ausgerechnet auf dem Platzspitz, wo vor Jahren Menschen starben, habe Sieber Kirche gelebt. «Denn diese findet nicht dort statt, wo Mauern und Kirchturm stehen, sondern dort, wo Menschen zusammen kommen und Freud und Leid teilen.»
Ein Mann mit vielen Hüten
Theologieprofessor Thomas Schlag von der Universität Zürich erinnerte daran, dass Ernst Sieber 1988 vor genau 30 Jahren der Ehrendoktortitel von der Theologischen Fakultät Zürich verliehen wurde. «Neben Pelzkappe, Filz- und Lederhut hatte Ernst auch den Doktorhut auf.» Er habe diesen zwar nicht nach aussen gekehrt, aber mit Stolz und Genugtuung getragen. Lehre und Handeln waren bei ihm eng verknüpft, neben Kirchenmann war er auch Theologe. Seine Vorbilder waren Zwingli und Leonhard Ragaz. Wenn er in ihren Schriften blätterte, hob er nicht selten mahnend den Zeigefinger. «Er war ein theologischer Seelendoktor», brachte Schlag es auf den Punkt.
Auch Regierungsrätin Jacqueline Fehr und Stadtpräsidentin Corine Mauch dankten dem engagierten Obdachlosenpfarrer. Vors Mikrofon traten aber auch Siebers «Brüder und Schwestern» wie er die Randständigen stets liebevoll nannte. Eine ehemalige Drogensüchtige sagte: «Er hat mir das Leben gerettet.»