Schwerpunkt 23. März 2022, von Hans Herrmann

Was Jesus mit Hiob verbindet

Hiob

Hiob durchlebt seine eigene Passionsgeschichte. Auch im tiefsten Leid bleibe Gott ansprechbar, sagt der Literatur- und Theologieprofessor Benjamin Schliesser.

Das Opfer

Indem Gott Hiob dem Satan ausliefert, lässt er zu, dass sein frommer Diener zum Opfer wird. Die grausame Prüfung soll zeigen, ob sich Gottes Musterschüler auch in Armut und Krankheit nichts zuschulden kommen lässt und an seinem Glauben festhält. So durchlebt Hiob seine eigene Passionsgeschichte. Er wird sozial geächtet und fühlt sich von Gott verlassen. Der Vergleich mit dem Leidensweg Jesu bis ans Kreuz, wie ihn die Evangelien beschreiben, drängt sich auf.

Im Alten Testament gibt es mehrere Gestalten, die das im Neuen Testament geschilderte Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu in symbolischer Analogie vorwegzunehmen scheinen. Etwa Josef, der Sohn Jakobs, von seinen neidischen Brüdern in einen Brunnen geworfen, von Händlern gerettet, als Sklave nach Ägypten verkauft und dort aufgestiegen zum Vizekönig.

Und da ist Isaak, von seinem Vater Abraham als Schlachtopfer bestimmt, im letzten Moment von Gott gerettet und später zu einem der Stammväter des jüdischen Volkes geworden. Oder der Prophet Jona, von einem Wal verschluckt und wieder ausgespuckt, um die Botschaft Gottes zu verkünden.

Flehen zum stummen Gott

Hiob hingegen, der doch in ganz besonderem Mass auch ein Opfer ist, fügt sich in diese Reihe nicht so recht ein. Denn das Buch Hiob ist nicht organisch eingebunden in die Geschichte des Volkes Israel, die christlich als Heilsgeschichte interpretiert wird, gipfelnd im Tod Jesu am Kreuz und seiner Auferstehung von den Toten an Ostern. Vielmehr wirkt Hiob ein bisschen fremd, ein konstruiertes Lehrstück, eine märchenhafte Novelle ohne Anbindung an jene biblischen Erzählungen, die auch historisch gelesen sein wollen. Das Hiobbuch wird deshalb der Weisheitsliteratur zugeordnet.

Auch im tiefsten Leid, sogar im Gefühl der Gottverlassenheit bleibt Gott mein Gegenüber, bleibt ansprechbar, ich darf ihn anklagen, anschreien, anflehen.
Benjamin Schliesser, Literatur- und Theologieprofessor

Und doch sind Analogien zwischen den Opfern Hiob und Jesus auszumachen. Benjamin Schliesser, Ausserordentlicher Professor für Literatur und Theologie des Neuen Testaments an der Universität Bern, nennt zunächst den Aspekt der Gottverlassenheit: «Hiob hat nichts mehr, seine zehn Kinder sind gestorben, all seine Tiere vernichtet. Er ist sozial geächtet und fühlt sich von Gott verlassen.» Ein Vergleich mit der Gottverlassenheit Jesu am Kreuz dränge sich auf.

Trotzdem sprechen beide weiterhin mit Gott. Hiob klagt ihn an, sucht so den Dialog, der sterbende Jesus schreit verzweifelt: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?» (Mk 15,34).

Für Schliesser zeigen diese Geschichten: «Auch im tiefsten Leid, sogar im Gefühl der Gottverlassenheit bleibt Gott mein Gegenüber, bleibt ansprechbar, ich darf ihn anklagen, anschreien, anflehen.»

Bei Hiob geht es zunächst um seine eigene Existenz. Aber auch er wird vom Opfer zum Erlösten und Erhöhten, weil sich Gott einschaltet und neue Perspektiven eröffnet.
Benjamin Schliesser, Literatur- und Theologieprofessor

Weiter erwähnt der Theologe die drei Freunde, die Hiob in seinem Leid aufsuchen und ihm vorhalten, dass er wohl gesündigt habe, wenn ihm Gott dermassen schweres Leid aufbürde. «Eine Entsprechung in der Passionsgeschichte sind die Leute, die am Kreuz vorbeikommen und zu Jesus sagen: «Wenn du der bist, der den Tempel niederreisst und in drei Tagen wieder aufbauen kann, so rette dich nun selbst und steig herab vom Kreuz.»

Vom Leiden in den Jubel

Aus der tiefsten Tiefe aber entsteht neues Hoffen. Der Tod Jesu wird mit seiner Auferstehung zum Heilsgeschehen für die Menschen. «Bei Hiob geht es zunächst um seine eigene Existenz», erklärt Schliesser. «Aber auch er wird vom Opfer zum Erlösten und Erhöhten, weil sich Gott einschaltet und neue Perspektiven eröffnet.» Hiob erlangt seine Gesundheit wieder, sein Besitz und seine gesellschaftliche Stellung werden wiederhergestellt, seine Frau gebiert ihm neue Kinder.

«Obwohl im Neuen Testament selbst keine ausdrückliche Parallele zwischen Hiob und Jesus hergestellt wird, in der Literatur und Kunst gibt es sie», sagt Schliesser und verweist auf eine Arie in Georg Friedrich Händels Oratorium «Der Messias»: Hier verwandelt das Opfer Hiob sein Leiden in den Jubel über Ostern.