Schwerpunkt 10. November 2016, von Felix Reich

Gottes Wut auf die Besserwisser

Bibel

Das Buch Hiob sucht Erklärungen für Ungerechtigkeit in einer von Gott gelenkten Welt. Keine Antwort befriedigt. In der Negation liegt die Kraft der Erzählung.

Das Buch Hiob ist grosse Literatur. Und eine wirksame Medizin gegen verein­fachende Gottesbilder. In eine Erzählung vom frommen Hiob, der ohne nachvollziehbares Verschulden Hab, Gut und Fa­­milie verliert, sind unterschiedliche Er­­klärungsversuche eingefügt. Hinzu kommen die Klagen des Hiob und zuletzt die Gottesrede und der Abschluss der Prosaerzählung. Hiob wird rehabilitiert, sein Besitz wieder hergestellt, und er stirbt «alt und lebenssatt» (Hiob 42,17).

Die Rahmengeschichte geht wohl auf eine Volkserzählung zurück. Die Reden der Freunde, die Hiob erklären, warum Gott ihn leiden lässt, wurden später eingefügt. Hinzu kommt der Prolog, in dem sich Gott auf eine Wette mit dem Satan einlässt. Der Teufel provoziert ihn mit der These, dass Hiob – wie alle Menschen – nur deshalb ein gottesfürchtiges Leben führt, weil er reich und gesund ist.

Der Teufel wird als Hofnarr Gottes dargestellt. Er besitzt keine Macht und muss zuerst Gott fragen, bevor er Hiob heimsuchen darf. Zugleich zeichnet der Prolog ein mehr als zwiespältiges Gottesbild. Dieser Gott lässt sich offenbar durch Provokationen manipulieren und liefert seinen Musterschüler dem Satan aus.

Prüfung bestanden. Das Leid, das Hiob ereilt, ist eine Prüfung. Er besteht sie und straft den Satan Lügen. Von Krankheit gezeichnet, sitzt er auf der Asche seines Besitzes und fragt rhetorisch: «Das Gute nehmen wir an von Gott, und das Böse sollten wir nicht annehmen?» (Hiob 2,9). In ihrer Radikalität negiert die Satans­szene, dass es eine in der Welt unmittelbar wirksame Gerechtigkeit Gottes gibt. Mehr noch: Gott hat eine dunkle Seite.

Auf den ersten Blick nimmt der Prolog mit dem Dialog zwischen Gott und Satan alle Deutungen vorweg. Die drei Freunde, die nun auftreten, können über die Gründe für Hiobs Schicksal nur spe­kulieren. Sie sprechen aus menschlicher Perspektive, wofür der Wechsel in die Lyrik steht. Die Freunde waren gekommen, um Hiob zu trösten. Durch dessen Klage irritiert, werden sie zu Anklägern. Sie halten Hiob, der den Tag seiner Geburt verflucht, Gotteslästerung vor. Wer gerecht lebe, empfange Gottes Lohn. Ge­nau diese Logik wurde durch die Wette zwischen Gott und Satan aber auf den Kopf gestellt. Und auf Hiobs Frage, warum so viele Gottlose in Saus und Braus lebten, wissen freilich auch die selbstgerechten Erklärer keine Antwort.

Weil das Motiv der Wette zwischen Teufel und Gott nicht mehr aufgenommen wird, wenn der Text in die Prosa zurückfindet, verliert es seine Deutungskraft. Der Prolog scheint nun nicht mehr als eine Anekdote, ein weiterer, am Ende zurückgewiesener Erklärungsversuch.

Von Gott erhält Hiob keine Rechtfertigung. Stattdessen prahlt Gott damit, was er alles geschaffen hat und wie nichtig dagegen die Existenz des Menschen ist, als er endlich mit Hiob spricht. Dennoch erfährt der Klagende mitten im Leid die Gegenwärtigkeit Gottes: «Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört, jetzt aber hat mein Auge dich gesehen.» (Hiob, 42,5). Nun setzt die Prosaerzählung mit der Wiederherstellung Hiobs wieder ein.

Gott bleibt Geheimnis. Belastungsfähige Antworten auf die Frage, wie die Ungerechtigkeit mit der Allmacht Gottes vereinbar sind, liefert die Erzählung nicht. Was bleibt, ist Gottes Wut auf die Besserwisser: «Ihr habt nicht die Wahrheit über mich gesprochen wie mein Diener Hiob» (Hiob 42,7). Wahrheit für sich beanspruchen kann nur der Klagende. Allein ihm hat sich Gott offenbart. Die Aufgabe der Freunde wäre es gewesen, Hiob zu trösten, statt vorzugaukeln, den Willen Gottes zu kennen. Gott bleibt Geheimnis, das Leid unerklärlich.