Schwerpunkt 10. November 2016, von Felix Reich

Der beleidigte Prophet

Bibel

Das Alte Testament ist voller grossartiger Geschichten. Dabei werden Gottesbilder kreativ unterlaufen. Zum Beispiel bei Jona, diesem Propheten wider Willen.

Sie ist die ideale Sonntagsschulgeschichte. Bildstark und eingängig. Dennoch ist das kurze Buch Jona nichts für schwache Nerven. Es geht um Schuld, Reue und Gerechtigkeit. Und vor allem führt der Text vor Augen, dass Gott sich nicht er­klären lässt. Von Gott lässt sich nur erzählen. Eine Erzählung lebt vom Vollzug, der Auseinandersetzung, der Bewegung. Sie lässt Deutungen zu, die sich zu einer zuletzt unverfügbaren Wahrheit fügen.

Nichts wie weg. Jona erhält den Auftrag, nach Ninive zu reisen und der Stadt den Untergang zu prophezeien. Die Menschen haben mit ihrem Lebenswandel den Zorn Gottes auf sich gezogen. Der Prophet möchte die Mission jedoch nicht annehmen. Er stiehlt sich davon, nimmt ein Schiff mit Kurs nach Tarschisch. Jona will nur «weg vom Herrn» (Jona 1,3).
Als das Schiff in einen heftigen Sturm gerät, gibt sich Jona den Seeleuten zu erkennen und nimmt die Schuld für das Unwetter auf sich. Er lässt sich über Bord werfen, worauf sich die See schlagartig beruhigt. Jona wird von einem grossen Fisch verschluckt und verbringt drei Tage und drei Nächte in dessen Bauch.

Auf dem Umweg dieser Fahrt im Un­terseeboot gelangt Jona zu Einsicht. Nach­dem er nämlich ans rettende Ufer ausgespuckt wurde, bekommt er von Gott zum zweiten Mal aufgetragen, nach Ninive zu gehen. Diesmal gehorcht der Prophet wider Willen und verkündet der Stadt das nahe Ende: «Noch vierzig Tage, dann ist Ninive zerstört» (Jona 3,4).

Die Warnung zeigt Wirkung. Der König ruft eine Fastenzeit aus und verlässt seinen Thron, setzt sich im Trauergewand in den Staub. Die Umkehr wird belohnt. «Und Gott tat das Unheil leid, das über sie zu bringen er angekündigt hatte, und er führte es nicht aus» (Jona 3,10).

Gott ist Gott. Nun ärgert sich Jona. Er habe ja immer gewusst, dass «du ein gnädiger und barmherziger Gott bist, langmütig und reich an Gnade, und einer, dem das Unheil leid tut» (Jona 4,2). Darum habe er nach Tarschisch fliehen wollen, statt den Einwohnern von Ninive apokalyptische Ängste einzujagen. Er grollt, weil er auf abenteuerlichen Wegen auf eine Mission geschickt wurde, die dann doch ohne Folgen bleibt.

Um Jona zu belehren, lässt Gott einen Rizinus wachsen, der dem vor der Stadt rastenden Propheten Schatten spendet. Am nächsten Morgen setzt der Pflanze ein Wurm zu. Der sengenden Hitze ausgeliefert, wünscht sich Jona den Tod, worauf Gott seinen beleidigten Propheten zur Rede stellt: «Dir tut es leid um den Rizinus, um den du dich nicht bemüht und den du nicht grossgezogen hast, der in einer Nacht gross geworden und in einer Nacht zugrunde gegangen ist. Und da sollte es mir nicht leidtun um Ninive, die grosse Stadt?» (Jona 4,10–11).

Wie in anderen Geschichten im Alten Testament handelt Gott nicht rational. Er kennt Enttäuschung und Zorn, Reue und Mitleid. Zugleich ringen die Menschen mit ihm. Sie klagen an, gehorchen, versuchen, sich seinem Willen zu entziehen. Hier wird eine intensive Gottesbeziehung geschildert mit allen Zweifeln und allem Hadern, Vertrauen und Zuversicht.

Die menschlich anmutenden Züge ste­hen für Gottes Unverfügbarkeit. Das Bild von Gott wird ständig unterlaufen. Gott überrascht, zuweilen mit einem versteck­ten Sinn für Humor. Als ob stets das Zweite Gebot mitschwingt: «Du sollst dir kein Gottesbild machen noch irgendein Abbild von etwas, was oben im Himmel, was unten auf der Erde oder was im Was­ser unter der Erde ist» (Exodus, 20,4). Gott ist Gott. Gewiss ist nur, dass er mit den Menschen unterwegs bleibt. Und dass seine Barmherzigkeit Gerechtig­keits­vor­stellungen übersteigt.