Die Stichwörter zur Diskussion waren im Zürcher Stadthaus hoch oben in den Arkaden des neohistorischen Saals auf grossen Tafeln aufgemalt: eine überdimensionale Streitaxt, mit der sich wohl 1531 die katholischen Innerschweizer und die Zürcher Reformierten die Köpfe eingeschlagen haben, eine Bibel und ein Bischofsstab. Die Schlacht von Kappel als der entscheidende Wendepunkt des schweizerischen Reformationsgeschehens war wie gesetzt bei der Podiumsdiskussion «Zürich ohne Zwingli - eine Spekulation».
Religionspolitischer Glücksfall
Schon von Anfang an war klar: die Schlacht von 1531 war keine Katastrophe, sondern eher ein glückliches Scheitern. Denn dank Kappel dominiert bis heute weder eine reformierte noch katholische Monokultur die helvetische Religionslandschaft. Das betonte die Theologin Christina aus der Au, die mit dem Reformationsjubiläen in Deutschland und der Schweiz als ehemalige Kirchentagspräsidentin von Berlin und Wittenberg 2017 besonders vertraut ist. Gerade das föderalistisch Kleinräumige, das religiös Mehrstimmige in der Schweiz habe dazu in einem langwierigen Prozess beigetragen, tolerant mit Minderheiten umzugehen. So sei in der Schweiz der Andersdenkende und Andersgläubige als ständiger Begleiter in allen religiösen Angelegenheiten spürbar. Auch das innerreformatorische Geschehen hätte sich durch Vielstimmigkeit ausgezeichnet, so Aus der Au. «In Zürich rangen verschiedene humanistische Theologen um die richtige Bibelübersetzung. Gemeinsam gingen sie zu Werke und waren nicht wie Luther in seiner Wartburger Schreibstube einsam.»
Das Aufeinanderprallen von reformierter und katholischer Kirche wirkte sich auch nach Ansicht von Markus Notter, dem früheren SP-Regierungsrat und Kirchenminister, als besonders produktiv für die Religionspolitik aus. So demokratisierte sich die hierarchisch-katholische Kirche, indem sie sich ins Staatsgefüge einordnen musste. Der Katholik Notter betonte, dass es lange Zeit mehr ein Waffenstillstand war denn ein friedliches Nebeneinander bis die katholische Kirche im reformiert geprägten Kanton Zürich ihre institutionelle Anerkennung gefunden habe. Mit der Angleichung an das Modell, Kirche als öffentliche Körperschaft anzuerkennen, sei schliesslich die Lösung gefunden worden. «Das ist bis heute eine clevere Idee, in der eine hierarchisch abgehobene Kirche zu Bürgernähe verpflichtet wird.» 2003 scheiterte das von Notter in enger Zusammenarbeit mit den beiden Landeskirchen ausgearbeitete Kirchengesetz, das auch nichtchristlichen Religionsgemeinschaften die Anerkennung als öffentliche Körperschaft erlaubt hätte. Der Alt-Regierungsrat betonte, dass er darin immer noch den Königsweg moderner Religionspolitik sieht.
Humanistischer Geist prägend
Felix Reich, der Redaktionsleiter von «reformiert.» und Gastgeber dieser Diskussion, wollte als Moderator von der Religionspolitik des 21. Jahrhunderts wieder zurück in die Reformationszeit und stellte die Frage in den Raum: «Gab die Politik oder die Theologie den entscheidenden Anstoss für die Reformation in Zürich?» Hier wendete Notter ein, dass für das 16. Jahrhundert eine solche Trennschärfe zwischen Obrigkeit und Geistlichkeit überhaupt nicht existiert habe. Das Streben dem Seelenheil aller zu dienen, sei nicht nur Aufgabe der Geistlichkeit, sondern auch der Politik gewesen. Die kurzfristig für den erkrankten Berner Professor André Holenstein eingesprungene Historikerin Regula Schmid wiederum markierte, dass der humanistische Geist bei den politischen wie geistigen Eliten gleichermassen vorgeherrscht habe. Deshalb vertrat sie auch entschieden die These, dass die Reformation auch ohne Zwingli in der Schweiz in Gang gesetzt worden wäre. Weiterhin wies die Professorin darauf hin, dass die Dynamik der frühen neuzeitlichen Staatenbildung religiöse Spaltungsvorgänge unabhängig von charismatischen Reformatoren befördert habe.
Viel Kult um Luther
Unverkennbar, dass zeigte sie auch in anderen Voten Schmids, widerstrebte ihr die Zwingli-Orientierung im Schweizer Reformationsjubiläum. Christina aus der Au wiederum erinnerte daran, wie wenig heroisch hierzulande Zwingli erinnert worden sei, wenn man den Luther-Kult in Deutschland vergleichend daneben stelle.
Auf die Frage von Felix Reich über den Ertrag des Zürcher Reformationsjubiläums, zog Notter eher eine durchzogene Bilanz. «So viele Millionen Franken aus dem Glücksspielgewinnen» seien geflossen und trotzdem sei keine einzige grosse wissenschaftliche Monographie zu Zwingli erschienen. Das Wissen um die Reformationszeit sei beim Durchschnittsschweizer kaum gewachsen.