Mittendrin sollte die Kirche sein am Züri-Fäscht und nicht nur still am Rand. Pfarrer Andrea Bianca wusste schon den idealen Standort für die Bar der Reformierten. Doch der Platz rund um das Zwingli-Denkmal bei der Wasserkirche war verplant – wie immer für die WC-Burg.
Zwingli-Wurst und Zwingli-Bier
Bianca und seine Partnerin, die Chilbi-Pfarrerin Katharina Hoby, suchten das Gespräch mit dem Festorganisator. Mit Erfolg. Die Toiletten werden vom 5. Juli bis am 7. Juli an einem anderen Platz aufgestellt. Die reformierte Kirche lädt zu Wurst und Bier. Die Festwirtschaft übernimmt Üetliberg-Gastronom Giusep Fry, der den benachbarten Stand am Limmatquai betreibt.
Zur Feier des Festes steigt Zwingli vom Sockel und steht für Selfies bereit. Die Fotos weisen für Bianca über das Reformationsjubiläum hinaus, das 2017 begann und in diesem Jahr endet. Der vom Sockel geholte Reformator stehe für den Dialog auf Augenhöhe. «Hier will die Kirche den Menschen keine Botschaft unterjubeln, sondern zuhören, mit ihnen festen und diskutieren», sagt der Kirchenrat mit dem Ressort «Mitgliedschaft und Lebenswelten».
Kirche verliert die Kontrolle
An der Bar präsent sind die Mitglieder des Jugendtreffs Grossmünster, die mit Besuchern über den Klimawandel diskutieren. Sie sind Vorboten eines Projekts von Pfarrer Christoph Sigrist. Er lässt 15 Zwinglis aus Kunststoff nach Vorbild der Statue giessen.
Zwölf Figuren besuchen die Quartiere. Hinzu kommen ein Reformator am Flughafen sowie in der Nähe des Hauptbahnhofs der Entschleunigungs-Zwingli. Er wird mit einer kaputten Uhr in der Hand den gehetzten Pendlerstrom im Auge behalten. Und mit einem Zwingli im Bischofsgewand werden am 23. August die Veranstaltungen in den zwölf Stadtkreisen lanciert. Zu Gast ist dann Abt Urban Federer vom Kloster Einsiedeln.
Vom Selfie zum Spiegel
Der Jugendtreff konzipiert den mit Spiegeln besetzten Öko-Zwingli. Der Weg führe vom Selfie als Tourismusphänomen «hin zur Frage nach der eigenen Verantwortung für den Klimawandel», erklärt Sigrist. Seinen ersten Auftritt hat dieser Zwingli am Bürkliplatz, wenn Sigrist seine Erst-August-Rede hält.
Das Projekt knüpfe an die Reformation an, indem es den Kirchenraum in die Stadt ausweite, sagt Sigrist. «Zwingli holte die Bibel aus dem Weihrauchdunst hinter dem Altar in den Kirchenraum» und übersetzte sie mit Fachleuten im öffentlichen Diskurs. «Die Kirche verlor ihre Autorität, weil die Leute selbst entscheiden konnten, welche Bibelstellen sie lesen wollten.»
Provokation und Botschaft
Die Anlässe in den Quartieren werden lokal verantwortet. In Schwamendingen wird über Integration diskutiert, um Wohnungsbau geht es am Schaffhauserplatz und am trendigen Idaplatz um Grenzgänger und Ausgrenzung. Jeder Kunststoff-Zwingli bekommt einen Gegenstand, der mit den verhandelten Fragen zu tun hat. Das Schwert lässt er meistens bei der Wasserkirche. Die Bibel kommt mit. «Sie ist der rote Faden», sagt Sigrist. Das schliesse nicht aus, dass über politische, ökonomische und soziale Fragen debattiert werde. Im Gegenteil: «Die Reformation hat den Blick in die toten Winkel der Stadt gelenkt.»
Alle Veranstaltungen stehen unter dem Motto, das der Grossmünsterpfarrer am Sechseläuten platziert hat, als dem Böögg der Hut vom Kopf flog: «Em Zwingli lupfts de Huet.»
Zwingli an der Streetparade
Den Vorwurf des Sauglattismus nimmt der Pfarrer gelassen. «Ihm muss ich mich aussetzen, will ich die Botschaft vom Christsein in die Öffentlichkeit hineinsetzen.» Das habe er von Zwingli gelernt, der in der Fastenzeit dem Wurstessen beigewohnt hatte, um seine Botschaft zu vermitteln. «Ihm würden heute wohl auch Provokationslust und Sauglattismus vorgeworfen.»
Der multiplizierte Zwingli hat nach dem Züri-Fäscht bald den nächsten Festauftritt. Auf Anfrage der Organisatoren, die im Jubiläumsjahr die Reformation thematisieren wollen, ist am 10. August eine Zwingli-Figur an der Streetparade dabei. Vor dem Start des Technofestivals wird in der Wasserkirche ein ökumenischer Gottesdienst gefeiert.
Der Beginn einer Festgeschichte
Für Bianca ist die Zwinglibar erst der Anfang einer reformierten Festgeschichte. Er möchte die Kirche am Züri-Fäscht dauerhaft etablieren. Das haben die Katholiken, die am General-Guisan-Quai mit Beiz und Bühne feiern, den Reformierten voraus.
Für Zwingli anstelle eines ökumenischen Stands plädiert Bianca nicht, um sich konfessionell zu profilieren. «Die Orte ergänzen sich ideal und verdoppeln die Präsenz der Kirche.» Wer das reformatorische Leitmotiv «Solus Christus» ernst nehme, müsse ohnehin das Verbindende des Christlichen und nicht das Trennende der Konfession ins Zentrum rücken.