Recherche 09. Mai 2019, von Karin Müller/kirchenbote-online.ch

Zwingli und Fukushima

Reformation

Japanische Protestanten besuchten Reformationsstätten in Zürich, Basel und Bern. Zwinglis Geist bestärkt sie im Einsatz für die Opfer der Fukushima-Katastrophe.

Die beiden Länder trennen 10'000 Kilometer, die vollkommen andere Schrift, Sprache und Kultur. Und trotzdem haben die Schweiz und Japan während einer Woche einen gemeinsamen Fixpunkt: Huldrych Zwingli. Eine Delegation von sieben Protestantinnen und Protestanten reiste von Japan in die Schweiz, um sich vor Ort über die helvetische Reformation zu informieren.

Im Rahmen des Reformationsjubiläums hatten der Schweizerische Evangelische Kirchenbund und die Reformierte Kirche Aargau Anfang Mai die Vertreterinnen und Vertreter der japanischen Schwesterkirchen in die Schweiz eingeladen. Hier besuchten sie Reformationsstätten in Zürich, Basel, und Bern, um mehr über die Wurzeln und das Wirken der Schweizer Reformation zu erfahren, von Erasmus von Rotterdam über Zwingli bis zur Mission 21.

250 Jahre lang verboten

Nicht einmal ein Prozent der Japaner bekennt sich heute zum Christentum. Gerade einmal 0,4 Prozent der Bevölkerung, gut 500'000 Menschen, sind Protestanten. Während die ersten katholischen Missionare im 16. Jahrhundert nach Japan kamen, erreichte das protestantische Christentum die Insel erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts von Amerika her, es waren vor allem Methodisten, Baptisten und Calvinisten. Dazwischen war der christliche Glaube in Japan 250 Jahre lang verboten.

Nach den presbyterianisch geprägten Missionaren aus den USA folgten später weitere, unter anderem aus Deutschland. Heute gibt es rund 7000 Gemeinden mit unterschiedlichen protestantischen Konfessionen. Sie kennen Luther und Calvin. Zwingli hingegen ist in Japan ein weisser Fleck.

Kirche misst Strahlung

Mit rund 196 000 Mitgliedern ist der KYODAN, die Vereinigte Kirche Christi, die grösste protestantische Kirche in Japan. Ihr gehört Pfarrer Yoshinobu Akashi aus Fukushima an. Nach der Reaktorkatastrophe und der anschliessenden Flutwelle vor acht Jahren habe die Kirche vor einer gewaltigen Herausforderung gestanden, so Pfarrer Yoshinobu. Sie schickte Helfer-Teams in die am stärksten betroffenen Gebiete, um die Menschen seelsorgerlich zu begleiten und die Gemeinden vor Ort zu stärken.

Bis heute kümmert sich der KYODAN um die Bewohner in Fukushima. Mit Messungen informiert die Kirche etwa über die aktuelle Strahlenbelastung. Die Menschen trauten der Regierung nicht, sie verharmlose die Gefahr, erklärte Akashi gegenüber den Medien. Im Labor der Kirche können sie testen lassen, ob ihre Lebensmittel verstrahlt sind. Zwingli beeindruckt den Pfarrer, weil er die Reformation zusammen mit der Bevölkerung entwickelt habe. Dies bestärkt ihn in seiner eigenen Arbeit. Die Kirche solle zu den Menschen stehen, sagt Yoshinobu.

Auf den Spuren Zwinglis

Junko Kikuchi engagiert sich zusammen mit ihrem Mann, der Pfarrer ist, in der Gemeindearbeit. Sie ist zudem Delegierte im Ausschuss für deutschsprachige Kirchen des japanischen Rats der Kirchen und pflegt Kontakte zur Evangelischen Kirche in Deutschland und zum Kirchenbund. Sie ist nicht zum ersten Mal in Zürich. «Ich weiss, wie Zwingli die Bibel ausgelegt und gepredigt hat», sagt sie. Doch nun erfuhr sie Neues über den Zürcher Reformator. Er sei dem Leben verbunden geblieben und habe die Nöte der Menschen gesehen. So habe er etwa während der Pest in Zürich ausgehalten und die Kranken besucht. Und er habe die Reisläuferei kritisiert, weil sie schlecht für die Menschen gewesen sei.

Das Engagement ihrer Kirche für die Menschen in Fukushima und die kritische Haltung gegenüber der Atomkraft sieht Junko Kikuchi durch das reformatorische Erbe bestätigt. Der Reaktorunfall und seine Folgen seien nach wie vor sehr präsent. «Ich bin überzeugt, dass wir mit der Haltung Zwinglis hier weiterhin aktiv sein müssen», sagt sie. «Wir müssen zu den Menschen gehen und ihnen zuhören, damit wir wissen, was sie beschäftigt. Dies ist wichtig für unsere Kirche. Zwingli tat dies mit Überzeugung.»

Eng mit Mission 21 verbunden

In Basel empfing Magdalena Zimmermann die Delegation aus Japan in der Mission 21. Für die interreligiöse Friedensarbeit habe man von der Japan-Mission im 19. Jahrhundert viel gelernt, sagte die stellvertretende Direktorin von Mission 21. Besonders in Ländern, wo die christlichen Kirchen eine Minderheit bilden, sei es wichtig, einander auf Augenhöhe zu begegnen.

Mit Japan verbindet Mission 21 eine enge Beziehung, etwa mit dem Internationalen Zentrum für den Austausch von Sozialhilfe KISWEC in Kyoto. KISWEC unterstützt Behinderte und schickt regelmässig Praktikantinnen und Praktikanten in die Schweiz. Und Schweizer Pfarrerinnen und Pfarrer reisen zur Weiterbildung nach Kyoto.

Keine Heiligen

Anschliessend erfuhren die Gäste aus Japan von der Historikerin Christine Christ-von Wedel, wie der Humanist Erasmus von Rotterdam Zwingli beeinflusste, aber auch was die beiden trennte. Erasmus habe für Gewissensfreiheit und die Koexistenz der Konfessionen plädiert, so Christ-von Wedel. Die Protestanten seien weniger tolerant gewesen, wie die Konfessionskriege zeigten.

Man dürfe die Reformatoren nicht wie Heilige verehren, sagt Junko Kikuchi, und verweist auf die Verfolgung der Täufer. Für die Gemeinschaft der Methodisten und Baptisten in Japan bleibt die Geschichte der Täufer aktuell. Die Rede des mitgereisten Baptisten Kano Yoshitako bei der Versöhnungsandacht an der Limmat habe sie sehr berührt, erzählt Kikuchi. Yoshitako warnte vor der Ausgrenzung Andersdenkender.

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