Recherche 22. März 2022, von Delf Bucher

Das reformatorische Strohfeuer

Geschichte

Einen Gott der Gnade verkündete Zwingli-Freund Conrad Schmid Tausenden von Innerschweizern. Seine vor 500 Jahren gehaltene Predigt fiel aber in Luzern nicht auf fruchtbaren Boden.

Der März 1522 ist ein Monat, der sich in die Annalen der Schweizer Reformationsgeschichte eingeschrieben hat. In Zürich wagten Handwerker zusammen mit zwei Priestern den Fastenbruch und assen Würste. 

Vom Skandal, der sich in der Froschauer Druckerei zutrug, hat mit grosser Wahrscheinlichkeit Conrad Schmid, Vorsteher der Johanniterkomtur Küsnacht am Zürichsee, gehört, als er zwei Wochen nach dem Wurstessen nach Luzern aufbrach. Der Kalender zeigte den 24. März an, just am gleichen Sonntag, an dem Zwingli die wurstessenden Tabubrecher im Grossmünster in Schutz nahm und mit seiner später veröffentlichen Schrift „Von der Freiheit der Speisen“ theologisch rechtfertigte. 

Allein die Schrift

Ähnliches sollten auch die Luzerner aus dem Munde des  Humanist und spätberufene Priesters erfahren. Schmid war  als Festprediger zum weithin berühmten Musegg-Umgang geladen. Tausende zogen bei dieser Prozession Jahr für Jahr von der Hofkirche entlang den Stadtmauern bis zur Museggmauer hoch. 1522 ging Conrad Schmid unter blauem Baldachin und mit vollem Ornat vorne draus. Der Zwingli-Freund wollte die neue Lehre den «frommen Christen des löblichen Luzerns»  künden. Nur eines gilt für den Glauben: die Schrift. «Sola scriptura – nur die Schrift». Mit dieser Maxime verteidigte am gleichen Sonntag Zwingli im Grossmünster die fastenbrechenden Wurstesser. 

Szenische Lesung der Predigt

Am Samstag, 26. März, wird die Predigt, eingerahmt in ein kirchenhistorisches Programm, am Nachmittag von Schauspieler und Sprecher Walter Sigi Arnold in Luzern vorgetragen. Die szenische Lesung findet in der christkatholischen Kirche nahe der Museggmauer statt. Informationen zur Jubiläumsveranstaltung finden Sie hier

Da in der Heiligen Schrift weder der Papst als Stellvertreter Christi auf Erden angekündigt war, noch von Fürbitten für die Heiligen oder von Ablässen, um die Bratzeiten im Fegefeuer zu verkürzen, die Rede war, stellte er alle Kulte und Ritualhandlungen infrage. Was für einen Sinn würde die Schar der Schutzpatrone auch machen, «wenn Gott uns seinen allerliebsten Sohn gab, der ohne Unterlass für unsere Sünden und Anliegen bittet?»    

Aber er hatte auch schmeichelnde, versöhnliche Töne, wenn er von der befreienden Gnade Gottes sprach, die den irdischen Sündern das Tor zum Himmelreich öffneten: «Gott wird mit den Augen blinzeln und durch die Finger auf unsere Sünden schauen, so als ob er unsere Sündhaftigkeit weder gesehen noch gehört hat.» 

Ein schöner Mann

Nach der Predigt schrieb der Luzerner Humanist Myconius an Zwingli. Er lobte «unseren Conrad»: «Welch schöner Mann und welch schöne und christliche Ansprache.» Die Altgläubigen rund um den Dekan der Hofkirche, Johannes Bodler, hätten nun in Luzern an Ansehen verloren.

Die leicht gekürzte Predigt von Conrad Schmid

Die Musegg-Predigt
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Myconius, so lässt sich spekulieren, lebte wohl in einer Blase von Gebildeten. Dort sind Schmids Ideen auf fruchtbaren Boden gefallen. Denn die Geistlichen in den Kirchen und Klöstern rund um Luzern lasen Erasmus, den Meisterdenker der mitteleuropäischen Renaissance. Der Humanist aus Rotterdam wollte den Glauben befreien aus den Fesseln der mittelalterlichen Dogmen.

Aber das Sagen hatte die Luzerner Obrigkeit. Wenn auch in Schmids Predigt nicht die Geschäfte mit den Reisläufern kritisiert wurde, hatten die Innerschweizer Söldnerführer und Pensionenempfänger durchaus im Gedächtnis: Ein Jahr zuvor, also 1521, trat das reformierte Zürich als einziger eidgenössischer Ort nicht dem Soldbündnis mit Frankreich bei. Sie wusste genau, dass Schmids Freund Zwingli 1519 von Einsiedeln nach Zürich berufen, weil er ein Gegner des Reislaufens war.

Tod an der Seite Zwinglis

Myconius konnte sich in dieser angespannten politischen Situation nicht halten. Er wurde noch im selben Jahr ins Exil nach Zürich getrieben, humanistische Schriften in den kirchlichen Bibliotheken des Stadtstaates Luzerns verbrannt.

Conrad Schmid und sein Freund Huldrych Zwingli sollten neun Jahre später, im Oktober 1531, auf dem Schlachtfeld von Kappel den Tod finden. 

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