Recherche 27. Januar 2020, von Delf Bucher

Bildung gegen Armut

Diakonie

Die Religionspädagogin Zsuzsanna Tóth erklärt, wie die ungarischen reformierten Kirchgemeinden in der Slowakei junge Roma sozial und bildungsmässig stärken.

Manchmal sind slowakische Kinder auch in der Schweiz anzutreffen. Angela Elmiger, Programmbeauftragte für Südosteuropa beim Hilfswerk der Evangelischen Kirche Schweiz (Heks), ist immer wieder überrascht, wenn sie bei Besuchen in der Slowakei erzählt, sie komme aus Bern und die Kinder dann antworten: «Da waren wir auch schon.» Die slowakischen Kinder sind Roma und gehen auch in der Schweiz auf Betteltour.

Bibelstunden für Roma-Kinder

Manchmal hält das Schicksal auch glückhafte Wendungen für die Roma-Kinder bereit. Das war bei Ilonka so. Sie flüsterte vor vielen Jahren Zsuzsanna Tóth zu: «Ich möchte auch einmal so einen Beruf erlernen wie du.»

Zsuzsanna Tóth ist promovierte Religionspädagogin. Damals vor zehn Jahren hat sie als Studentin freiwillig Bibelstunden für Roma-Kinder und Jugendliche organisiert. Heute ist sie Koordinatorin des Kirchlichen Zusammenarbeitsprogrammms von Heks für die reformierten Kirchen in der Slowakei - mit 90'000 Mitgliedern eine kleine Minderheit innerhalb der ungarischen Minderheit von einer halben Million Menschen in der Slowakei.

Bildung baut Brücken

Ilonka ist nun auf dem besten Weg bald diplomierte Religionspädagogin zu werden. Akademikerin und Roma - das trifft man in Südosteuropa selten an. Die Voraussetzungen für Europas ärmste Kinder, den bildungsfernen Roma, sind kaum gegeben. Auch bei Ilonka gab es zuhause weder Bücher noch eine Ansprechperson, die ihr bei den Hausaufgaben helfen hätte können. Zehn Jahre lang wurde sie aber begleitet von Zsuzsanna Tóth, die mit ihrem gewinnenden Lächeln diese Erfolgsgeschichte bei der Heks-Tagung zur Kirchlichen Zusammenarbeit vorträgt.

Hinter der persönlichen Geschichte steckt etwas, was die Integrationsforschung immer wieder betont: Bildung öffnet die Türen, um aus dem gesellschaftlichen Abseits heraustreten zu können.

Eine wachsende Minderheit

Bildung vermitteln mit Hausaufgabenhilfe ist ein Teil des von Heks unterstützten Programms in Südosteuropa. Wie wichtig der Ansatz Bildungsbrücken für Kinder und Jugendliche zu bauen ist, zeigt ein Blick auf die slowakische Demographie. Dazu projiziert Tóth eine Folie an die Wand des Seminarraums in der Zürcher Heks-Zentrale. Sofort sticht ins Auge: Die Roma sind die einzige wachsende Bevölkerungsgruppe in der Slowakei, während die ungarischstämmige Minderheit und die slowakische Mehrheit beim demographischen Saldo ein Minus ausweisen. Zwischen 2001 und 2011 sind die Roma von 90'000 auf 105'000 Einwohner gewachsen.

«Romafamilien haben meist mehr Kinder als andere», erklärt Zsuzsanna Tóth in gutem Deutsch. Gerade deshalb sei es wichtig, bei den Kindern und Jugendlichen anzusetzen, um einen sozialen und kulturellen Wandel herbeizuführen. Tóth ist überzeugt, dass dafür bessere Rahmenbedingungen seitens der Politik allein nicht ausreichen würden. Dass für sie auch die Verkündigung des Wortes Gottes dazugehört, daran lässt die promovierte Religionspädagogin keinen Zweifel aufkommen.

Verzwickte Lage

Indes ist die religionspolitische Situation für die Roma verzwickt. Einerseits sprechen sie ungarisch, sind aber katholisch getauft. In ihrem Umfeld im Südosten der Slowakei existieren nur katholische Kirchen, in denen die Messe auf Slowakisch abgehalten wird. Deshalb hat es sich Zsuzsanna Tóth mit ihrem Team von Freiwilligen zur Aufgabe gemacht, die Türen der reformierten Kirchgemeinden für die Roma zu öffnen. Dort aber sitzen bei vielen die Vorurteile gegen die Roma tief. Die Kirchenräume der Gemeinden für Bibelstunden und Hausaufgabenhilfen bereit zu stellen, fällt nicht allen leicht. Tóth versucht ihnen zu erklären: «Auch die Roma sind wie wir alle Gottes Kinder.»

Inzwischen sind fünf Kirchgemeinden in der von Heks geförderten Roma-Arbeit aktiv. Die Freiwilligen des Programms erreichen 250 Roma-Kinder. Zu Beginn spricht das Programm die Kinder und Jugendlichen mit Spielenachmittagen und Sommerferienlagern an. Denn für sie gibt es kaum Freizeitangebote. In der zweiten Phase kommen dann als zusätzliches Angebote Hausaufgabenhilfe für Kinder und Jugendliche aus den bildungsfernen Familien hinzu. Aber alle Angebote sind eingebettet in Bibelunterricht und Gebet.

Gottes Kinder

In der Schweiz mag der missionarische Ansatz irritieren. Für Ilonka, die zum ersten Mal in einer Bibelstunde mit Zsuzsanna Tóth zusammenkam, wird er wahrscheinlich eine göttliche Fügung sein. Die Botschaft von Tóth, dass auch die Roma gleichberechtigte Kinder Gottes sind, hat Ilonka das nötige Selbstbewusstsein verliehen, um in der fremden Umgebung einer Hochschule zu bestehen.

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