Der Auftritt hatte grosse Wirkung: Im Juli lud das Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (Heks) zur Medienkonferenz. Unter den Sprechern war Edi Mulyono, ein Bewohner der indonesischen Insel Pari, der zusammen mit drei weiteren Inselbewohnern vom Konzern Holcim Entschädigungen für Umweltschäden und eine massive Reduktion des CO₂-Ausstosses fordert. Das Zementunternehmen gilt als einer der grössten CO₂-Emittenten der Welt und damit als massgeblicher Mitverursacher der Klimaerwärmung, deren Folgen Pari existenziell bedrohen: Der Meeresspiegel steigt, immer häufiger zerstören Überschwemmungen Häuser und Strassen.
Am Tag zuvor hatte Mulyono am Hauptsitz des Unternehmens in Zug ein Schlichtungsgesuch eingereicht, unterstützt vom Heks, dem European Center for Constitutional and Human Rights und der indonesischen Umweltorganisation Walhi, im Rahmen der Kampagne «Call for Climate Justice». Zum ersten Mal muss sich damit ein Schweizer Konzern rechtlich für seine Rolle im Klimawandel verantworten.
Präzedenzfälle schaffen
Klimagerechtigkeit zählt erst seit der Fusion mit Brot für alle (Bfa) im Januar 2021 zu den Schwerpunktthemen des Heks. Bis dahin hatte der Fokus im Ausland auf Programmen in der Entwicklungszusammenarbeit im Bereich Zugang zu Ressourcen und Land gelegen, während Bfa intensiv auf der entwicklungspolitischen Ebene tätig war, und dies zunehmend auf dem Gebiet von Klimagerechtigkeit.
Die Forderung der Inselbewohner sei kein PR-Coup, sagt Heks-Mediensprecher Lorenz Kummer: «Pari kämpft seit Jahren mit den Folgen des Klimawandels und entwickelte mit der Hilfe von Bfa und Walhi Anpassungsmassnahmen.» Nachdem die Überschwemmungen massiver geworden seien, hätten die Bewohner beschlossen, die Mitverursacher zur Rechenschaft zu ziehen. «Sie selbst verursachen kaum CO₂, müssen aber die enormen Schäden und Anpassungsmassnahmen berappen.» Trotz weltweit deutlichen Alarmzeichen handle die Politik bisher kaum, also griffen die Menschen zur Justiz.
Klimaklagen hatten lange keine Chance auf Erfolg, doch sie werden zunehmend ernst genommen. So findet im September erstmals in der Schweiz an der Universität Luzern eine Tagung zu Klimaklagen statt. Auch beobachten weltweit Firmen insbesondere zwei Gerichtsprozesse, die zu Präzedenzfällen werden könnten: die Klage eines peruanischen Bauern, der vom deutschen Energiegiganten RWE Zahlungen für Schutzbauten einfordert, weil sein Haus von einer Gletscherflut bedroht ist. Und jene gegen Shell, die 2018 niederländische Bürger und NGOs einreichten, um rasche, drastische Reduktion des Kohlen-dioxid-Ausstosses zu erwirken.
Die Fälle sind noch hängig. Shell wurde in erster Instanz dazu verurteilt, die CO₂-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent zu senken.
Im Dschungel der Gesetze
Ebenso wie das Heks betrachtet auch Andreas Hösli Klimaklagen als wirkungsvolle Mittel, um den Handlungsdruck zu erhöhen. Der Zürcher Rechtsanwalt schreibt eine Dissertation über die unternehmerische Verantwortung im Kontext des Klimawandels. «Der Fall Holcim ist einzigartig», so Hösli, «denn erstmals werden zugleich Schadenersatz und eine Reduktion gefordert.» Das habe global grosse Aufmerksamkeit generiert.
Klimaklagen sind höchst komplex, die Prozesse finden in einem Geflecht aus nationalem und internationalem Recht statt. Hösli: «Weltweit tätige Grosskonzerne sind mit nationalem Recht schwierig zu erfassen. Gerichte müssen Hunderte von rechtlichen Fragen und Sachverhalten anschauen.»
Petition lanciert
Als Richtlinien im Klimarecht gelten gemeinhin die UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und die OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen. An ihnen orientierte sich auch die gescheiterte Konzerninitiative, deren Koalition, zu der auch das Heks zählt, erneut Anlauf genommen und am 20. August eine Petition lanciert hat. Diese fordert von Bundesrätin Karin Keller-Sutter, ihr Versprechen eines international abgestimmten Gesetzes für Schweizer Firmen nun rasch zu realisieren.
Kummer betont, dass man beim Heks nicht einzelne Firmen zu Sündenböcken erklären wolle, Forderungen wie jene gegenüber Holcim hätten Symbolcharakter: «Der Appell, den Klimawandel zu bekämpfen, richtet sich an alle.» So lancierte das Heks auch Projekte wie die «Klimagespräche», die sich an jeden Einzelnen richten.