Recherche 23. Februar 2023, von Felix Reich

«Die Hebelwirkung ist viel grösser»

Klimaklage

Das Hilfswerk Heks unterstützt eine Klage gegen den Zementriesen Holcim. Yvan Maillard Ardenti sagt, weshalb politische Vorstösse im Kampf gegen die Klimaerwärmung nicht genügen.

Heks unterstützt eine Klage gegen Holcim. Warum nehmen Sie ausgerechnet diese Firma ins Visier? 

Yvan Maillard Ardenti: Holcim ist die grösste Firma in der Schweiz, sie stösst gigantische Mengen an CO₂ aus. Weltweit zählt das Unternehmen zu den 50 Firmen mit den grössten Emissionen und gehört damit zu den Hauptverursachern der Klimakrise. Die Einwohner von Pari sind davon direkt betroffen, bezahlen die Schutzmassnahmen jedoch selbst. Das ist ungerecht.

Damit gäbe es noch 49 andere Firmen, die verklagt werden könnten. Sie suchten sich Holcim aus, weil der Sitz in der Schweiz liegt und ein Zuger Gericht zuständig ist?

Ja. Die Klage ist Teil einer globalen Welle von über 2000 Klimaklagen. Sie sind gute Instrumente, um Staaten und Unternehmen zu zwingen, mehr fürs Klima zu tun.

Wäre es nicht Aufgabe der Staaten, Regeln aufzustellen, an die sich alle Firmen halten müssen?

Natürlich braucht es griffige Gesetze, um den Ausstoss von Treibhausgasen zu reduzieren. Es gibt bereits klimaschonende Verfahren in der Zementproduktion, die Holcim zu einem kleinen Teil anwendet. Daneben wird weiter viel konventioneller Zement hergestellt. Zudem gilt es, umweltverträglichere Baustoffe wie Holz zu fördern. Deshalb sind wir auf politischer Ebene ebenfalls aktiv. Die Klimakatastrophe ist ein derart drängendes Problem, dass wir mehrgleisig fahren müssen.

Yvan Maillard Ardenti

Yvan Maillard Ardenti

Der Umweltwissenschafter Yvan Maillard arbeitet beim Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (Heks) als Themenbeauftragter für Klimagerechtigkeit. Zudem ist er im Vorstand der breit abgestützten Klima-Allianz Schweiz, bei der Heks Mit­glied ist. 2022 haben die evangelischen Werke Brot für alle und Heks fusioniert.

Darf sich ein kirchliches Hilfswerk überhaupt für politische Kampagnen einspannen lassen? 

Die entwicklungspolitische Arbeit gehört zu unserem Mandat. Sie war Schwerpunkt von Brot für alle, nun hat sie bei Heks mehr Gewicht.

Ein Hilfswerk sollte helfen, statt zu prozessieren und politisieren.

Wir leisten auf Pari seit Jahren Hilfe, unterstützen die Menschen bei der Risikoanalyse, finanzieren Schutzmassnahmen. Das ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit in Indonesien und weiteren 30 Ländern. Aber wir dürfen nicht bei der Symptombekämpfung stehen bleiben. 

Und deshalb stellen Sie eine Schweizer Firma an den Pranger? 

Wir nehmen Holcim in die Verantwortung. Es ist wissenschaftlich belegt, dass weltweit rund 100 Unternehmen für einen grossen Teil der Klimaerwärmung verantwortlich sind. Es kann nicht sein, dass hier ein rechtsfreier Raum besteht und die Wirtschaft für Schäden, die sie verursacht, nicht zur Rechenschaft gezogen wird.

Aber selbst, wenn Holcim die Emissionen senkt, wie es die Klage verlangt, leiden die Bewohnerinnen und Bewohner von Pari weiterhin unter dem Klimawandel.  

Stimmt, aber es wäre ein wichtiger Schritt. Würde die Schweiz die Emissionen bis 2030 um 20 Prozent senken, würde dies den Ausstoss von Kohlendioxid um acht Millionen Tonnen verringern. Bei Holcim entsprechen 20 Prozent 30 Millionen Tonnen. Die Hebelwirkung ist also sehr viel grösser, wenn Holcim in die Pflicht genommen wird.

Dann helfen Klimaklagen mehr als alle Volksinitiativen zusammen? 

Was die Hebelwirkung angeht, ja. Die indonesische Umweltorganisation Walhi, mit der wir zusammenarbeiten, bringt in diesem Bereich viel Erfahrung mit. Im Kampf gegen die Abholzung für die Palmölproduktion konnten Erfolge erzielt werden, indem Firmen verklagt wurden. Walhi hat zudem den Bau von zwei Kohlekraftwerken mit Klagen verhindern können. 

Der Handlungsspielraum der Politik wird also überschätzt, weil am Ende die Wirtschaft entscheidet? 

Beides ist wichtig. Die Abstimmung über den Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative werden wir mit anderen christlichen Organisationen im Rahmen einer Kampagne begleiten. Politik und Wirtschaft sind gefordert, die Erwärmung des Klimas möglichst schnell zu bremsen und jenen Menschen, die am meisten unter den Auswirkungen leiden, zu helfen.

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