Recherche 13. Juni 2023, von Marius Schären

«Wenn wir verlieren, kämpfen wir weiter»

Klimagerechtigkeit

Mit einer Klage gegen den Zementkonzern Holcim fordern vier Menschen aus Indonesien Gerechtigkeit. In Bern erzählten die Betroffenen, wie ihre Lebensgrundlagen bedroht sind.

Asmania (ohne Nachnamen) und Edi Mulyono leben auf der indonesischen Kleininsel Pari und waren bisher noch nie im Ausland. Doch jetzt sind sie gleich im Bundeshaus gelandet – mit einer besonderen Mission: Sie haben Klage erhoben gegen den Schweizer Zementkonzern Holcim am Kantonsgericht dessen Hauptsitzes in Zug, zusammen mit zwei anderen Einwohnern von Pari. Und am 13. Juni haben sie in Bern Bundesparlamentarierinnen getroffen, mit Jugendlichen der Stadt geredet und sind in der Kirchgemeinde Johannes vor Publikum aufgetreten.   

So neu und erstaunlich die Welt hier für die beiden Inselbewohnenden ist: Im Gespräch mit den Parlamentarierinnen und Parlamentariern und Medienleuten war vor allem ihre Betroffenheit und ihr Engagement zu spüren. Begleitet waren sie von Suci Tanjung, Direktorin der grössten indonesischen Umweltorganisation Walhi, und Parid Ridwanudin, Climate Justice Campaigner bei Walhi. Diese beiden übersetzten auch die Aussagen der Klägerin und des Klägers auf Englisch. 

Meeresanstieg bedroht Existenzen

Für die kleine Insel Pari ist das Thema existenziell. «Die Klimaerwärmung hat grossen Einfluss auf unser Leben. Wir fangen viel weniger Fische als noch vor ein paar Jahren. Die häufigeren und extremeren Wetterwechsel machen die Fahrten aufs Meer risikoreicher», sagte Asmania. Mit ihrem Mann, der Fischer ist, ernährt sie drei Kinder – und dafür müsse sie immer härter arbeiten.

Die Klage gegen Holcim

Warum klagen vier indonesische Menschen den Schweizer Zementkonzern Holcim an? Gemäss Angaben des Hilfswerks Heks verursacht die Zementherstellung 8% aller Emissionen an Kohlendioxid weltweit. Holcim figuriere unter den 50 grössten Emittenten von CO2 weltweit und sei der grösste in der Schweiz. Also trage der Konzern (zumindest einen Teil) der Verantwortung für den Klimawandel.

Mit Unterstützung des Heks und der indonesischen Organisation Walhi haben vier Inselbewohnende von Pari im Juli 2022 zuerst einen Antrag auf Schlichtung eingereicht (reformiert. berichtete). Im Oktober 2022 wurde an der Schlichtungsanhörung zwischen den Parteien aber keine Einigung erzielt. Deshalb reichten die vier am Zuger Kantonsgericht im Februar 2023 Klage ein und beantragten Prozesskostenhilfe. Nun wird auf den Entscheid des Richters gewartet.

Die Klagenden fordern von Holcim, die klimabedingten Schäden auf der Insel Pari anteilig zu entschädigen, einen Beitrag zu Anpassungsmassnahmen an den Klimawandel auf der Insel Pari zu leisten und seine absoluten CO2-Emissionen bis 2030 um 43% und bis 2040 um 69% (bezogen auf die Werte von 2019) zu reduzieren. Als Lösungen fordern sie weiter, dass Länder mit hoher historischer Verantwortung wie die Schweiz einen Beitrag an den auf der COP27 vereinbarten Fonds für Schäden und Verluste leisten und auch andere Unternehmen ebenfalls für Verluste und Schäden aufkommen und ihre Emissionen drastisch reduzieren.

Auch Edi Mulyono lebt vom Meer. 2010 seien 87 Fischer in den Wellen gestorben. 2020 seien es bereits über 240 gewesen, sagte er in Bern. Und: «Das Steigen des Meeresspiegels schränkt auch den Tourismus ein. Es kommen immer weniger.» Für ihn ist nichts tun also gar keine Option. «Wenn wir in diesem Fall vor Gericht verlieren, kämpfen wir weiter für Klimagerechtigkeit», sagte Mulyono. Schliesslich täten sie das nicht nur für sich: Es betreffe Millionen von Menschen. 

23 Millionen Menschen betroffen

Unterstützt wurden die Aussagen der Inselbewohnenden von den beiden Mitgliedern der Organisation Wahli und vom Heks, dem Hilfswerk der evangelischen Kirchen Schweiz. Yvan Maillard Ardenti, Verantwortlicher Klimagerechtigkeit, wies in einer Präsentation unter anderem darauf hin, dass 199 Küstenbezirke und Städte in Indonesien im Jahr 2050 jährlich von Flutkatastrophen werden betroffen sein. Ausserdem würden etwa 118’000 Hektaren der Landfläche vom Meer überflutet und bis zu 23 Millionen Menschen betroffen sein. Die entstehenden wirtschaftlichen Verluste würden auf rund 100 Millionen Dollar geschätzt. 

Die Kampagne zur Holcim-Klage soll die Öffentlichkeit dafür sensibilisieren, dass es ein systematisches Problem gibt.
Yvan Maillard Ardenti, Verantwortlicher Klimagerechtigkeit beim Heks

Da das Heks schon länger in Indonesien tätig und Klimagerechtigkeit ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist, unterstützt es die Klagenden. «Die Kampagne zur Holcim-Klage soll die Öffentlichkeit dafür sensibilisieren, dass es ein systematisches Problem gibt», erläuterte Maillard Ardenti: Es entstünden klimabedingte Verluste und Schäden, aber wer diese zurzeit am meisten verursache, zahle nichts. 

Vor allem Interesse bei den Grünen

Bei den Parlamentarierinnen und Parlamentariern stiess die Möglichkeit zum Austausch beschränkt auf Interesse. Kurz zu Beginn anwesend war Marc Jost (EVP), während des ganzen Gesprächs Delphine Klopfenstein Broggini (sie hatte eingeladen), Isabelle Pasquier-Eichenberger und Natalie Imboden (alle Grüne). Später sprach noch Fabian Molina (SP) mit den Gästen und führte sie ein Stück durchs Bundeshaus.  

Die eindrückliche Begegnung mit den Betroffenen hat für mich klar gezeigt: Wir diskutieren hier noch ziemlich gemütlich – aber für andere Menschen werden Auswirkungen der Klimaerwärmung bereits existenziell.
Natalie Imboden, Nationalrätin (Grüne)

Dabei wäre das Thema von fundamentaler Wichtigkeit, findet zumindest die Berner Nationalrätin Natalie Imboden. «Die eindrückliche Begegnung mit den Betroffenen hat für mich klar gezeigt: Wir diskutieren hier noch ziemlich gemütlich – aber für andere Menschen werden Auswirkungen der Klimaerwärmung bereits existenziell. Wir müssen vorwärtsmachen!» Der an der Klimakonferenz COP27 im vergangenen November in letzter Minute eingerichtete Fonds für Schäden und Verluste (Lost and Damage) sei dabei ein wichtiger Schritt. Damit sollen Länder, die am meisten unter Auswirkungen der globalen Erwärmung leiden, finanziell unterstützt werden. 

Nicht nur ein Thema des Südens

Auch die Genfer Grüne Delphine Klopfenstein Broggini forderte Massnahmen. «Und zwar braucht es nicht nur in der Wirtschaft Veränderungen: Wir sind klar gefordert, auch politisch zu reagieren.» Dabei gelte es einerseits Verantwortung in der Schweiz zu übernehmen, sich aber auch über die Grenzen hinweg international zu verbinden und zu handeln. 

Die Inselbewohnerin Asmania wies schliesslich noch auf einen wichtigen Punkt hin, der hierzulande manchmal vergessen zu gehen scheint: «Es ist nicht nur ein Thema des Südens – auch der Norden der Erde ist betroffen.» Würde das Gericht gegen sie entscheiden, wäre das schwach, findet sie. Und es würde ein Grund sein, ihre Bewegung noch stärker ausweiten zu wollen.

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