Ein ukrainischer Ambulanzwagen fährt auf die polnische Grenze zu. Auf einer Liege im Innern Wenjamin Erachmilewitsch, begleitet von seiner Frau Tamara. An diesem sonnigen Tag Ende März hat der 84-Jährige schon neun Stunden Fahrt hinter sich. Er muss liegen, denn er ist beträchtlich gehbehindert. Das Ziel der Fahrt: Berlin.
Untergebracht im Zentrum «Erfülltes Leben»
Seine grösste Sorge sei, dass er irgendwem zur Last fallen könnte, sagt er während einer Pause einem ARD-Fernsehteam, das auf der Reise dabei ist. Wenjamin Erachmilewitsch stammt aus der ostukrainischen Stadt Dnipro. Er ist einer von zahlreichen Holocaustüberlebenden, deren Ausreise jüdische Organisationen in den vergangenen Monaten arrangierten. Im Berliner Altenpflegezentrum «Erfülltes Leben» wird er einer von zwölf betagten jüdischen Gästen sein.
Drei Monate nach der Ankunft in Deutschland betritt er den gelb gestrichenen Konferenzraum im Pflegezentrum der Volkssolidarität. Er trägt einen grauen Vollbart und eine eckige, leicht getönte Brille. Vorsichtig geht er am Stock, an seiner Seite seine Frau und die Pflegeleiterin, die das Gespräch für «reformiert.» übersetzen wird. Wenjamin Erachmilewitsch erzählt von zwei Evakuierungen, einer zu Lebensbeginn, einer gegen Lebensende.
Schlafen auf dem Lehmofen
Drei Jahre alt war er, als 1941 die ersten Bomben auf die Stadt fielen, die damals noch Dnipropetrowsk hiess. «Meine Mutter, meine Grossmutter und ich suchten Schutz in einem Bachlauf», erinnert er sich. Der Vater kämpfte als Marineoffizier in der sowjetischen Armee. Kurz nach den Bombardierungen packten Mutter und Grossmutter zusammen. Die sowjetische Armee brachte sie nach Sibirien.