Recherche 05. Februar 2018, von Felix Reich

Das andere Wurstessen

Reformation

Im bis auf den letzten Platz gefüllten Grossmünster feiern Reformierte und Katholiken gemeinsam Gottesdienst. Und danach geht es um die Wurst.

Das Grossmünster in Zürich war am 4. Februar bis auf den letzten Platz gefüllt, als Reformierte und Katholiken gemeinsam Gottesdienst feierten. Es war ein eindrückliches Zeichen der Ökumene, obwohl der Gottesdienst auch an die konfessionelle Spaltung erinnerte. Grossmünsterpfarrer und Reformationsbotschafter Christoph Sigrist stellte den Gottesdienst nämlich ins Zeichen des Wurstessens, das am 9. März 1522 der Zürcher Reformation entscheidenden Schub verlieh.

Beim Buchdrucker Christoph Froschauer versammelte sich damals Zürcher Prominenz, um das zu tun, was im Verborgenen längst üblich war: die Fastenregeln zu brechen und eine Wurst zu verzehren. St. Peter-Pfarrer Leo Jud langte tüchtig zu, Reformator Huldrych Zwingli hingegen schaute nur zu. Als der Fastenbruch jedoch öffentlich wurde, stieg er auf die Kanzel und verteidigte die prominenten Wurstesser. Damit provozierte er den Bruch mit dem Bischof von Konstanz und eine Bestrafung durch den Zürcher Rat. Die Stadtpolitik brachte Zwingli mit einer Verteidungsrede vor dem Rat auf seine Seite und so nahm die Zürcher Reformation ihren Lauf.

Vom Wurstessen zum Abendmahl. Christoph Sigrist hat das Wurstessen freilich vor die Fastenzeit gelegt. Und der katholische Generalvikar Josef Annen betonte im Gottesdienst, dass das Wurstessen von einst zwar eine Provokation gewesen sei, die Einladung zum Wurstessen 2018 hingegen ein Zeichen der Versöhnung. «Essen ist im Christentum immer mit Gemeinschaft verbunden.» Und die Gemeinschaft an den Tischen in der Helferei-Kapelle nähre die Sehnsucht, dass die gespaltenen Kirchen auch am Abendmahlstisch endlich gemeinsam feiern könnten.

Kirchenratspräsident Michel Müller sagte, dass die unterschiedlichen Konfessionen «Teile der Wahrheit Gottes» abbilden. Sie alle seien erfüllt vom Heiligen Geist, weshalb Katholiken und Reformierte, Orthodoxe und charismatische Bewegungen vermehrt «voneinander lernen» sollten.

Durch Regeln zur Freiheit. In der Dialogpredigt mit Abt Urban Federerbetonte Christoph Sigrist, dass das Evangelium immer wieder politische Ordnungen und Kirchenordnungen sprenge. Im Zentrum der Predigt stand Lukas 5,27–39 und somit die Erklärung Jesu, weshalb seine Jünger nicht fasten: «Könnt ihr denn die Hochzeitsgäste zum Fasten anhalten, solange der Bräutigam bei ihnen ist?» Zwingli habe mit der Verteidigung des Wurstessens nicht gegen das Fasten protestiert, sondern mit Bezug auf das Evangelium gegen weltliche Regeln, sagte Sigrist. Denn der Reformator forderte lediglich die Abschaffung der rigiden Fastenregeln des Staates und plädierte für die Freiheit der Gläubigen, selbst zu entscheiden, ob sie fasten wollen oder nicht.

Im Lukasevangelium ist freilich nicht allein von der Absage ans Fasten die Rede. «Es werden aber Tage kommen, da ihnen der Bräutigam entrissen wird; dann werden sie fasten, in jenen Tagen», sagt Jesus. Dieses Warten auf Ostern verbindet Abt Urban Federer mit der Fastenzeit, in der es im Kloster «ein bisschen protestantisch» werde: wenig Musik, Stille und das Hören auf das Wort des Evangeliums. «Die Regeln des Ordens verleihen mir eine innere Freiheit, meine Unabhängigkeit gewinne ich durch meine Abhängigkeit von Gott», sagte der Mönch.

Das Grossmünster wird katholisch. Der Kirchenraum des Grossmünsters wird sich in den nächsten Wochen stark verändern. Bereits am Sonntag standen Marienbilder herum. Der Grund: Stefan Haupt dreht seinen Film über Zwingli. Der Regisseur sagte im Gottesdienst, dass er sich vom Film mehr Eintritte wünscht, nicht unbedingt in die Kirche, aber «in eine Gemeinschaft, die Solidarität lebt über Grenzen hinweg».

Nach dem Gottesdienst lud Reformationsbotschafter Sigrist zum Wurstessen in die Kapelle der Helferei und präsentierte im Beisein von Regierungsrat Mario Fehr sein Buch «Schattenwurf Zwingli».

 

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