Recherche 27. Juni 2017, von Nicola Mohler

Die Negativliste geht manchen zu weit

Ethik

Die revidierten Schweizer Richtlinien zur Organspende finden Zustimmung. Intensivmediziner bedauern jedoch, dass gewisse Massnahmen nicht mehr gestattet sind.

Ab November tritt ein überarbeitetes Transplantationsgesetz in Kraft. In diesem Zusammenhang hat auch die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) ihre Richtlinien zur Organspende revidiert. Neu ist klar geregelt, wann die Frage der Organspende den Angehörigen eines Patienten auf der Intensivstation gestellt werden darf: nämlich, nachdem sie entschieden haben, die lebenserhaltenden Massnahmen abzubrechen. «Das ist aus ethischer Sicht wichtig, weil die Entscheidung für einen Therapieabbruch nicht von einer möglichen Organspende beeinflusst werden darf», erklärt Michelle Salathé, Generalsekretärin der SAMW und Leiterin des Ressort Ethik.

Keine Reanimation. Franz Immer, Direktor der Schweizerischen Stiftung für Organspende und Transplantation Swisstransplant, zeigt sich mit den revidierten Richtlinien generell zufrieden. «Sie dienen uns Ärzten als Leitfaden in diesem höchst emotionalen Thema.» Hingegen bedauert Immer die neu aufgeführten invasiven Massnahmen, die zukünftig für die Vorbereitung einer möglichen Organspende nicht mehr zur Anwendung kommen dürfen: Eine «Negativ­liste» untersagt die Durchführung einer mechanischen Reanimation.

Das heisst, ein hirntoter spendewilliger Patient am Beatmungsgerät darf nach einem Herzstillstand nicht mehr mit einer Herzmassage wiederbelebt werden. Diese Methode ist laut Richtlinien «für die spendende Person mit mehr als minimalen Risiken und Belastungen verbunden». Franz Immer jedoch findet: Mit dem Verzicht auf die Reanimation gehe der Schweiz vielleicht ein Spender pro Jahr verloren. Letztlich könne Reanimation gerade im Sinne von Patienten sein, die einer Organspende eingewilligt haben.

Keine Kanüle. Die «Negativliste» schliesst noch eine zweite Massnahme aus – das Setzen einer Kanüle, mit der Kühlflüssigkeit in den Blutkreislauf gespritzt wird, um die Organe in gutem Zustand zu erhalten. Begründung der SAMW: Auch diese Methode sei zu invasiv und für die Transplantation nicht zwingend nötig.

Franz Immer hält dagegen: «Werden in Zukunft schonendere Techniken gefunden, werden diese per se ausgeschlossen.»

Schwieriger Entscheid. Für eine Organspende gelten zweiVoraussetzungen: Der diagnostizierte Hirntod – der Ausfall aller Hirnfunktionen – und die Einwilligung der verstorbenen Person. Ist der Wille des Verstorbenen unbekannt, entscheiden Angehörige über eine Spende. Damit die Organe eines hirntoten Patienten am Leben erhalten bleiben, wird sein Kreislauf künstlich aufrechterhalten. Das Anheben und Senken des Brustkorbes durch das Beatmungsgerät macht den Anschein, als würde der Patient noch leben.

Diese Situation erschwert für viele Angehörige eine Einwilligung: Zwei von drei Angehörigen entscheiden sich auf der Intensivstation gegen eine Spende. Bei Umfragen äussern sich 85 Prozent der Schweizer dem Thema gegenüber hingegen positiv.