73 Prozent der Befragten in der Schweiz sind grundsätzlich bereit, nach dem Tod ihre Organe zu spenden – aber bloss 36 Prozent haben diesen Willen dokumentiert. Das ergibt die repräsentative Befragung von Demoscope, die im Auftrag von «reformiert.» durchgeführt wurde.
Weil in der Schweiz die erweiterte Zustimmungslösung gilt, sind nur etwa die Hälfte der Verstorbenen tatsächlich potenzielle Spenderinnen und Spender. Denn die Bereitschaft zu spenden muss ausdrücklich festgehalten und die Angehörigen müssen einverstanden sein. Ansonsten dürfen keine Organe entnommen werden.
Angehörige haben ein Vetorecht
Diese Diskrepanz ist einer der Hauptgründe für die Initiative «Organe spenden – Leben retten». Sie wurde im vergangenen Frühling eingereicht und soll die erweiterte Widerspruchlösung einführen. Das würde bedeuten, dass automatisch als Spenderin oder Spender gilt, wer nicht festgehalten hat, dass sie oder er das nicht will. Wobei die Verwandten ein Veto einlegen können, wenn ihnen bekannt ist, dass die angehörige Person einer Organspende nicht zugstimmt hätte.
Gemäss der Umfrage von «reformiert.» würden zurzeit 57 Prozent der Initiative zustimmen, 32 Prozent würden sie ablehnen. Die Religion spielt bei der Entscheidung keine Rolle. Aber warum stimmen nicht alle der «Widerspruchslösung» zu, die bereit wären zu spenden? Denn faktisch würde ihnen dieses System Arbeit abnehmen: Sie müssten ihren Willen nicht extra festhalten.
Die eigene Ansicht nicht über alles stellen
Eine Erklärung hat Tanja Krones, leitende Ärztin für Klinische Ethik am Universitätsspital Zürich und Mitglied der Nationalen Ethikkommission. Es mache durchaus einen Unterschied, ob man für sich persönlich entscheide oder ob der Entscheid einen normativ-ethischen Charakter habe, sagt sie: «Wenn etwas für mich stimmt, muss es nicht unbedingt auch für die anderen gelten. Ich finde es legitim zu sagen: ich stimme der Organspende zu, finde es aber nicht nötig, dass alle sich dafür oder dagegen entscheiden müssen.»
Franz Immer, CEO von Swisstransplant, sieht weitere Gründe, warum die Spendebereiten gegen die Initiative sein könnten: «Mit dieser Haltung betonen sie das allgemeine Recht auf körperliche Integrität, zudem finden sie, der Staat sollte sich bei diesem Thema nicht einmischen.» Er könne diese Argumente nachvollziehen, nur gehe ein Nichtentscheid häufig auf Kosten der Angehörigen. «Für sie kann es äussert belastend sein, stellvertretend im Sinne des Verstorbenen zu entscheiden, ob der Verstorbenen Organe entnommen werden sollen oder nicht», sagt Immer.
«Spenden soll ohne Druck geschehen»
Für Organspenden, aber zugleich gegen die Widerspruchslösung zu sein, sei aus ethischer Sicht eine gut begründete Position, findet hingegen der Vizepräsident der Nationalen Ethikkommission, Markus Zimmermann. «Organspende ist eine Spende, eine Gabe. Da darf keinerlei Druck ausgeübt werden», sagt der Theologe. Sobald aber der Gesetzgeber bestimme, dass alle Leute Spenderinnen und Spender seien, ausser sie deklarierten ihr Nein, werde dieses Prinzip der Gabe unterhöhlt. Zudem: «Wenn Bürgerinnen und Bürger per Gesetz gezwungen werden, sich mit dem eigenen Tod zu konfrontieren, werden damit ihre Grundrechte tangiert.»
Die detaillierten Resultate und Analysen zur repräsentativen Umfrage wird «reformiert.» in der November-Ausgabe der Zeitung publizieren.