Spezial 21. Dezember 2020, von Marius Schären

Nur ein Foto von Wald – und darin Befürchtetes und Erhofftes

Adventskalender 21

Der Fotograf Alexander Jaquemet führe in die Tiefe und stelle zugleich etwas entgegen, dass die Versenkung auffängt, schreibt der Kulturjournalist Konrad Tobler. Das triffts.

Das «Paradies» misst 1.5 mal 1.9 Meter und ist ziemlich dunkel – jedenfalls bei Alexander Jaquemet. Ein Foto von Wald, dichtes Unterholz, Zweige, abertausende von Blättchen und Blättern, und nur Andeutungen von Bäumen. Und das Ganze in unzähligen Grautönen zwischen Schwarz und ganz wenigen winzigen weissen Stellen.

Der 42-jährige Fotograf aus Erlach ist kein Mann des Glamours. Nur zwei Jahre nach seinem Lehrabschluss als Forstwart begann er mit einem Praktikum und anschliessender Lehre als Fotograf. Und seit diesem zweiten Abschluss 2003 ist Jaquemet selbständiger Fotograf und Künstler.

Er schafft zwar wunderbare Porträts im Auftrag, wie ich in der Zusammenarbeit mit ihm bei der Berner Fachhochschule erlebte. Doch auf seiner eigenen Website ist davon nichts zu sehen. Man taucht ein in Waldecken, die wohl die meisten einfach überschaut hätten, in scheinbar zufällige Ausschnitte von Vögeln, Himmel, Schneelandschaften oder auch Aquarelle.

Der Blick ins Dunkel macht uns zu Sehenden

Stephan Kunz, künstlerischer Direktor des Bündner Kunstmuseums, beschreibt Jaquemets Werk so:
«Der Blick führt ins tiefe Dunkel und macht uns zu Sehenden. Alexander Jaquemet liebt solche Paradoxe. Er zeigt uns eine Möwe, fotografiert am Übergang von Tag und Nacht. Alles scheint in der Tiefe des Raumes zu versinken. Selbst die Kontur des Vogels verliert sich. Nur ein zartes Licht lässt uns im Farbverlauf den Zeitverlauf erahnen. Was bleibt, ist ein feiner Glanz, der ins Diesseits ragt und uns abholt auf unserem Weg ins Imaginäre.»

Und der Kulturjournalist Konrad Tobler:
«Immer wieder kommt bei Alexander Jaquemet dem Licht eine zentrale Rolle zu. Wir beobachten, wie er die subtile Grenze zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren umspielt. Immer wieder führt er uns in die Tiefe und stellt uns zugleich etwas entgegen, dass die Versenkung auffängt. In bester romantischer Tradition arbeitet er mit Motiven feiner Verfremdung: Dazu gehört die Zeichenhaftigkeit von Zweigen im Unterholz, worin sich Ordnung im Zufall zeigt. Und wenn im stillen Gewässer der Himmel über moorigem Grund erscheint, wird deutlich, dass Bilder immer auch zurückschauen, wenn wir sie betrachten.»

Ruhig und inspiriert zurückkommen

Man kann Jaquemets Werke einfach überschauen. Sich auf Betrachtungen einzulassen, kann aber heissen, Fragen in sich einzulassen: Was soll das? Was steckt dahinter? Was liegt tatsächlich in der Tiefe? Wer führt hier eigentlich was im Schilde? Im Bild verweilen und mit neuem Blick wieder rausgehen: Aus dem Eingehen auf die Welt von Alexander Jaquemet kann man ruhig oder auch beunruhigt, reich und auch inspiriert zurückkommen; auf jeden Fall: irgendwie erweitert.

Oder noch mal mit den Worten Konrad Toblers:
«Seine Schritte knacken im Gehölz. Er geht Holzwege. Und findet Lichtungen, die er belichtet. Diese führen nicht zu einem Sinn. Wohl aber zu einem Sinnhaften: dem Reiz, dass im organischen Chaos doch so etwas wie ein Kosmos: eine Ordnung schlummert, die wir – bei allem Forschen und Wissen – staunend zu Kenntnis nehmen.»

Mehr auf der Website von Alexander Jaquemet: www.jaquemet.com  

Der «reformiert.»-Adventskalender 2020

Anregendes, Schönes und Überraschendes finden Sie im diesjährigen Adventskalender. In der Dezember-Ausgabe der Zeitung erscheint auf einer Seite eine handverlesene Auswahl von kleinen Appetitmachern in Text und Bild – für jeden Tag im Dezember bis zu Weihnachten. Diese Häppchen können sich auf ein Lied beziehen, ein Buch, ein Objekt, eine Tätigkeit, etwas Kulinarisches oder etwas zum Schauen.

Hier können Sie das PDF der Zeitungsseite herunterladen.

Auf der Website erfolgt jeweils die Auflösung: Jeden Tag öffnet sich ein neues Türchen, in dem wir die ausgewählte Kostbarkeit mitsamt ihrer Geschichte präsentieren. Sie finden die Türchen immer hinter der URL reformiert.info/advent1, /advent2, /advent3 und so weiter. Lassen Sie sich überraschen und inspirieren!

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