Spezial 17. Dezember 2020, von Marius Schären

Dota singt Mascha: Von einer Verbundenheit über die Zeiten

Adventskalender 17

Dota Kehr und Mascha Kaléko: Die Liedermacherin mit intelligenter Sinnlichkeit entdeckte die Dichterin der neuen Sachlichkeit; so wurde «Kaléko» ein komplett schönes Album.

Als Dota – getauft Dorothea – Kehr 1979 auf die Welt kam, war Mascha Kaléko seit vier Jahren tot. Und nun hat vor nicht allzu langer Zeit ein Mann an einem Konzert von Dota ihr einen Gedichtband geschenkt mit dem Titel: «Sei klug und halte dich ein Wunder».

Dota Kehr, die schon früh mit Strassenmusik begann und dann zugleich Medizin studierte, hielt sich daran. Sie fand beim ersten Blättern im Buch Gefallen an Kalékos dichten Texten. Die Jüdin und Dichterin der Neuen Sachlichkeit stammte aus Galizien (zwischen Polen und Ukraine), wuchs in Berlin auf und ging 1938 ins Exil in die USA, kam später wieder nach Berlin, war dann in Jerusalem und schliesslich wieder in Berlin – ein unstetes Leben in Unsicherheit, was sich einem Blick aufs Leben zwischen Zynik und Sehnsucht in ihren Gedichten äussert.

Kein Kinderlied – Dota Kehr – Kaléko

Mit einer fünfköpfigen Band hat Kehr nun Gedichte von Kaléko in pointiert umgesetzte Lieder gekleidet. Von melancholisch bis heiter, von komisch bis tiefernst entfalten sich die Texte in unverkrampften Arrangements. Jazz, Folk, Pop – der Stil ist übers Ganze nicht klar benennbar – aber das ist völlig egal. Denn im Innern erzeugt die Verbundenheit von Dota mit Masha eine selbstverständliche Stimmigkeit. Und in der Abfolge der Stücke entsteht ein schlüssiges Bild über die Höhen und Tiefen in Kalékos bewegtem Leben zwischen Reisen ins Ungewisse, trostlosem Berliner Grossstadtleben und Sehnsucht nach Unbeschwertheit.

Die Dächer glühn als lägen sie im Fieber.
Es schlägt der vielgerühmte Puls der Stadt.
Grell sticht Fassadenlicht. Und hoch darüber
Erscheint der Vollmond schlecht rasiert und matt.

Die «Julinacht an der Gedächtniskirche» beginnt swingend und hell rumpelnd. Tuba, Trompete und Flügelhorn ergänzen die klassische Besetzung und versetzen musikalisch in die 30er-Jahre. Voller Ironie und Schwermut, hellwach und abweisend zugleich scheint Mascha Kaléko in die Welt und das Leben geschaut zu haben. Und Dota Kehr vermag den Wortsinn erweiternd und bereichernd in ihre Musik zu übernehmen. 

Julinacht an der Gedächtniskirche – Dota Kehr – «Kaléko»

Seit ihrem ersten Album «Kleingeldprinzessin» von 2003 hat Dota stets eigene Lieder gesungen. Mit «Keine Gefahr» (2016) und «Die Freiheit» (2018) schaffte sie es in die Top 20 der Charts. Als Texterin ist sie für den Deutschen Musikautorenpreis 2020 nominiert. Nun hat sie sich erstmals aufs Komponieren und Arrangieren konzentriert. Auch das hat sich gelohnt.

Auf der Bonus-Version sind die «Worte in den Wind» das letzte Lied. In leiser Weise mit Drums, Gitarren und Trompete fasst Dotas klare Stimme das Lebensdilemma Kalékos zusammen:

Du zahlst für jedes kleine Wort auf Erden,
für jedes Mal, da du das Schweigen brichst.
So tief du liebst, wirst du verwundet werden
und missverstanden fast so oft, fast so oft du sprichst.

Worte in den Wind – Dota Kehr – «Kaléko»

Der «reformiert.»-Adventskalender 2020

Anregendes, Schönes und Überraschendes finden Sie im diesjährigen Adventskalender. In der Dezember-Ausgabe der Zeitung erscheint auf einer Seite eine handverlesene Auswahl von kleinen Appetitmachern in Text und Bild – für jeden Tag im Dezember bis zu Weihnachten. Diese Häppchen können sich auf ein Lied beziehen, ein Buch, ein Objekt, eine Tätigkeit, etwas Kulinarisches oder etwas zum Schauen.

Hier können Sie das PDF der Zeitungsseite herunterladen.

Auf der Website erfolgt jeweils die Auflösung: Jeden Tag öffnet sich ein neues Türchen, in dem wir die ausgewählte Kostbarkeit mitsamt ihrer Geschichte präsentieren. Sie finden die Türchen immer hinter der URL reformiert.info/advent1, /advent2, /advent3 und so weiter. Lassen Sie sich überraschen und inspirieren!

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