Georg Trakl ist der Schmerzensmann unter den österreichischen Lyrikern. Seine expressionistischen Gedichte sind voll von Melancholie, Traumwandlerei, Angst und Zerrissenheit – dazu sehr formschön, ausdrucksstark und musikalisch. In seinen Versen kommen oft die Farben Gelb, Braun, Blau vor. Trakl gilt als der Dichter des Herbstes, des Verfalls in Stille und Schönheit.
Seine Lyrik hat eine starke religiöse Komponente. Sie ist geprägt von Begriffen und Chiffren aus der katholischen Frömmigkeit, obwohl Trakl evangelisch war. Auch Gestalten aus einer Art Privatmythologie lässt er lebendig werden: Helian, der Knabe Elis, die Mönchin und andere.
Der 1887 geborene Salzburger war eine zerrüttete Existenz: drogensüchtig, hypersensibel, depressiv und in eine inzestuöse Beziehung mit seiner Schwester verstrickt. Er starb 1914 als 27-jähriger Sanitätssoldat in einem Lazarett in Galizien an einer Überdosis Morphium. Er hatte sie sich selbst verabreicht, weil er mit den vielen Verwundeten und Sterbenden, um die er sich alleine hätte kümmern sollen, emotional überfordert war.
Das kurze Gedicht «Ein Winterabend» ist einerseits typisch für Trakl – sanft, leise, melodiös, voll von christlichen Anspielungen. Auf der anderen Seite verströmt es aber auch eine für ihn eher unübliche Behaglichkeit, leicht gebrochen von einem melancholischen Anhauch freilich.
Ein Winterabend
Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
Lang die Abendglocke läutet,
Vielen ist der Tisch bereitet
Und das Haus ist wohlbestellt.
Mancher auf der Wanderschaft
Kommt ans Tor auf dunklen Pfaden.
Golden blüht der Baum der Gnaden
Aus der Erde kühlem Saft.
Wanderer tritt still herein;
Schmerz versteinerte die Schwelle.
Da erglänzt in reiner Helle
Auf dem Tische Brot und Wein.
Georg Trakl (1887 – 1914)