Selig ihr Armen, denn euer ist das Reich Gottes. (Lk, 6,20)
Jesus wirkte vorwiegend in den Dörfern rund um den See Gennesaret. In den Evangelien wird die Bevölkerung dieser Gegend für gewöhnlich so dargestellt: Mittellose Kleinbauern und Fischer kämpften ums tägliche Überleben. Zusätzlich unterdrückt wurden sie von der römischen Besatzung.
Die neuen archäologischen Befunde zeichnen jedoch ein anderes Bild vom damaligen Galiläa: Herodes Antipas regierte von 4 vor bis 39 nach unserer Zeitrechnung; der schlaue Monarch jüdischer Herkunft führte ein sogenanntes Klientelkönigtum, das zwar unter römischer Aufsicht stand, aber keine Truppen im Land hatte. Politisch und wirtschaftlich war alles so stabil, dass Herodes im Jahr 18 anfing, am See eine neue Residenzstadt aufzubauen, die er zu Ehren des römischen Kaisers «Tiberias» nannte, ein ambitioniertes Projekt mit Prachtsbauten wie einer grossen Synagoge, Bädern, Sportstadien. Die Region als Verbindung zwischen dem Mittelmeer und den grossen Städten wie Damaskus und Philadelphia (heute Amman) war schon längst kosmopolitisch und weltoffen.
Diese historische Tatsache legt die Vermutung nahe, dass Jesus sich nicht den Armen und Rechtlosen zuwandte, weil es davon wimmelte, sondern weil er sich bewusst und freiwillig von der einheimischen Oberschicht und ihren urbanen Zentren abwandte. Er wählte den Status eines armen, besitzlosen Wanderpredigers und setzte damit ein starkes Zeichen gegen die Arroganz der Elite.
«Arme» und «Gerechte» waren im Judentum zur Zeit Jesu austauschbare Begriffe: Sie bezeichneten jene, die gesellschaftlich keine Chance hatten, dafür aber alles von Gott erwarteten. Und genau diese werden hier glücklich gepriesen. Beim Evangelisten Matthäus erhalten sie den Zusatz «geistlich Arme», was neben ihrem materiellen Notstand auch ihre demütige Haltung vor Gott betont. Beide Aspekte gehörten für Jesus und seine «Option für die Armen» zusammen.
Man kann dieses Bibelwort demnach auch so lesen: «Glücklich seid ihr, die ihr einfach lebt. Euer Bedarf ist gedeckt, in euch wirkt Gott.» – «Happy seid ihr Leute ohne Ansehen und Bildung, ihr traut Gott alles zu.» – «Im Shalom lebt ihr, die ihr eure Ohnmacht einseht; euch eröffnet sich das Energiefeld Gottes.» «Volle Freude für euch Habenichtse, die ihr auf Macht und Mammon verzichtet; ihr erfährt die wahre Liebe.»