Jesus, der Mensch gewordene Gott.Jesus, der am Kreuz die Welt von der Erbsünde befreite und so den Tod besiegte. Bei dieser christlichen Sicht auf Jesus von Nazareth geht schnell einmal vergessen, dass Jesus selber kein «Christ» im paulinischen Sinn war. Die Botschaft des jüdischen Wanderpredigers aus Nazareth hatte einen anderen Schwerpunkt. Jesus verkündete nicht, wie sein Hauptapostel Paulus, die Theologie des Kreuzes, sondern das Reich Gottes, radikale Nächstenliebe und ebenso radikale Liebe zu Gott.
Sah er sich selber als leiblichen Sohn Gottes? Wollte er eine institutionelle Kirche gründen? Was verstand er unter «Nachfolge»? Und überhaupt: Worauf genau legte der historische Jesus, derGrundsteinleger der christlichen Religion, besonderen Wert?
Diesen Fragen wollen wir allmonatlich in unserer neuen Rubrik «Jesus hat das Wort» (erste Folge s. unten) nachspüren. Was nicht ganz einfach ist, denn direkte Antworten bekommen wir keine. Wir können zwar in den Evangelien danach suchen. Doch dabei gilt es zu beachten, dass diese vier Berichte über das Leben und Wirken Jesu eine komplexe Entstehungsgeschichte haben. Sie fielen nicht einfach vom Himmel, sondern entstanden vierzig bis sechzig Jahre nach Jesu Tod aufgrund mündlicher und auch erster schriftlicher Quellen.
Beweise fehlen. Auf der Suche nach dem Menschen Jesus werden die Bibelforscher vor allem in den Evangelien von Matthäus, Markus und Lukas fündig.Johannes gilt in dieser Hinsicht als wenig ergiebig, hebt er doch weniger den realen Jesus als vielmehr dessen Bedeutung für das Heilsgeschehen hervor.
Die drei anderen Evangelien sind näher beim historischen Jesus. In allen drei findet sich Überlieferungsgut aus einem alten biografischen Bericht, das zuerst Markus verwendete und das von den beiden anderen übernommen wurde. Weiter haben Matthäus und Lukas viele Stellen gemeinsam, die sich in Markus nicht finden.
Die Forschung geht deshalb von einer zweiten Quelle aus. «Dass es dieses Werk in schriftlicher Form gab, ist aufgrund der hohen Anzahl wörtlicher Übereinstimmungen zwischen Matthäus und Lukas sowie aufgrund der Parallelität im Aufbau sehr wahrscheinlich», schreibt der Theologe Thomas Hieke in einer Abhandlung, die er für die deutsche Bibelgesellschaft verfasst hat. Diese zweite Quelle wird Logienquelle oder schlicht Q genannt. Ihr Grundstock dürfte in den Fünfzigerjahren in Galiläa verfasst worden sein. Beweisen lässt sich deren Existenz nicht; Handschriften oder Schriftfragmente fehlen.
Erzähltexte finden sich in dieser hypothetischen Quelle kaum. Sie enthält zur Hauptsache Aussprüche und kürzere Reden Jesu. Die ersten Verbreiter dieser Überlieferung waren, so wird von Forschern vermutet, frühe judenchristliche Wanderprediger aus Galiläa. Sie sahen sich in direkter Nachfolge Jesu, übernahmen seine Lebensweise und waren darauf bedacht, die Worte ihres verstorbenen Meisters möglichst getreu weiterzugeben. Q gewähre, so Thomas Hieke, einen «sehr wichtigen Einblick in die früheste Geschichte der zum Christentum werdenden Jesus-Bewegung und führt möglicherweise ein Stück näher an den historischen Jesus heran als die kanonischen Evangelien».
In unserem neuen Gefäss «Jesus hat das Wort» wollen wir ebenfalls möglichst nahe an den historischen Jesus herantreten. Deshalb greift die Theologin Marianne Vogel Kopp als Rubrikautorin Jesuszitate aus dem Lukasevangelium auf, und zwar solche, die man der Quelle Q zuordnet. Allerdings handelt es sich auch hier nicht wirklich um den O-Ton Jesu, denn die Sprüche von Q wirken in ihrer literarischen Knappheit von späterer Hand redigiert. Aber sie gehören zum Authentischsten, was wir von Jesus haben.
Botschaft an alle. Welche Perspektiven öffnen sich heute mit der Idee des Gottesreiches, von dem Jesus kündete? Marianne Vogel Kopp sagt es so: «Heute ist ein Christentum dringend nötig, das die Reich-Gottes-Praxis Jesu als zentralen Massstab hat. Wo ihr gemäss die Liebe zum Nächsten gelebt wird, kann ihre frei machende Wahrheit erfahren werden.» Dieses Programm sei auch für Nichtchristenannehmbar; «auch Menschen anderer Religionen, selbst Agnostiker können es akzeptieren».